: Er wollte Brücken bauen
Wenn ich aus dem Gefängnis komme, werde ich weiterhin in China leben und mich für eine bessere Zukunft der Uiguren einsetzen“, schrieb Ilham Tohti Anfang dieses Jahres. Da war der Wirtschaftswissenschaftler gerade bei einer Razzia in seiner Wohnung festgenommen worden. Es dauerte einige Zeit, bis seine Familie, Freunde und seine Studenten aus der Pekinger Minzu-Universität erfuhren, wohin die Polisten ihn in aller Eile verfrachtet hatten: nach Urumqi, in die rund 3.000 Kilometer weiter westlich gelegene Hauptstadt der Grenzregion Xinjiang.
Dort steht der 44-jährige Tohti, ein Angehöriger der in China rund 10 Millionen zählenden uigurischen Minderheit, seit dem gestrigen Mittwoch wegen „Separatismus“ vor Gericht. Man wirft ihm vor, Kopf einer separatistischen Gruppierung zu sein, die „Hass zwischen den Volksgruppen“ gesät habe und den Staat „untergraben“ wolle. Beweise dafür sind nicht bekannt. Ihm drohen mindestens 10 Jahre Haft, fürchten seine Anwälte.
Aus Furcht vor Protesten riegelten die örtlichen Behörden das Gericht streng ab. Ausländische Diplomaten, darunter ein deutscher, und Journalisten, die extra aus Peking angereist waren, wurden nicht in das Gebäude gelassen.
Die Anklage und der Prozess sind nicht nur für Ilham Tohti katastrophal, sondern auch symptomatisch für die dramatisch schlechten Beziehungen zwischen der Han-chinesischen Mehrheit und den Uiguren, die überwiegend muslimisch und in Xinjiang beheimatet sind. In den letzten Jahren häufen sich Attentate und gewaltsame ethnische Auseinandersetzungen in der Region.
Ilham Tohti ist eine moderate Stimme in dem aufgeheizten Klima. Er versucht, Brücken zu schlagen. Wenn er nicht gerade in Hausarrest saß, ließ er sich von ausländischen Journalisten interviewen, trotz aller von den Behörden angedrohten Schikanen. Auf seiner Webseite „Uigur Online“ bot er eine Plattform für Informationen und Diskussionen über wirtschaftliche und soziale Probleme seiner Landsleute. Niemand sonst wagte dies.
Bereits nach den schweren Unruhen vom Juli 2009 in Urumqi und anderen Orten der Region warnte er die Regierung, dass eine Politik, die Protest nur mit mehr Wirtschaftsinvestitionen und mehr Repression bekämpft, zum Scheitern verurteilt sei. Peking stellte sich taub.JUTTA LIETSCH