: Erneut auf Suche
Niedersachsens Landtag will die Häufung der Leukämiefälle in Elbmarsch doch noch aufklären
HANNOVER taz ■ Der niedersächsische Landtag hat einen neuen Anlauf zur Klärung der ungeklärten Leukämie-Fälle in Elbmarsch unternommen. Gestern und vorgestern trafen sich zwanzig einander gut bekannte oder auch verfeindete Leukämie- und Atomexperten im niedersächsischen Landtag zu einer Anhörung und einem Symposium.
Vor 17 Jahren erkrankte das erste Kind aus der niedersächsischen Gemeinde Elbmarsch gegenüber dem AKW Krümmel und dem atomaren GKSS-Forschungszentrum in Geesthacht. Es folgte die weltweit einmalige Häufung von Leukämiefällen bei Kindern. In einem Radius von fünf Kilometern um die beiden Atomanlagen leben nur etwa 30.000 Menschen. Zwischen 1990 und 2006 sind dort 16 Kinder bis zu 15 Jahren an Blutkrebs (Leukämie) erkrankt.
Den Ursachen sind im Auftrag der Landesregierungen von Niedersachsen und Schleswig-Holstein in den Neunzigerjahren zwei hochkarätig besetzte Fachkommissionen nachgegangen, deren Vertreter auch in der Anhörung zu Wort kamen. Die niedersächsische Kommission trug durch Suche nach Chromosomenanomalien und Bodenanalysen Indizien für eine erhöhte Strahlenbelastung in den Gebiet zusammen, schloss ihre Arbeit aber ergebnislos ab.
In Schleswig-Holstein sprach dagegen nur die Landesregierung am Ende der Kommissionsarbeit die Atomanlagen frei, während eine Mehrheit der Kommissionsmitglieder Radioaktivität als Ursache der Leukämien ansah.
Hauptproblem blieb allerdings, einen Störfall und eine Freisetzung von Radioaktivität nachzuweisen, dem man jahrelang und am Ende vergeblich im AKW Krümmel suchte. Mittlerweile glauben eine Bürgerinitiative und die ihr nahestehenden Wissenschaftler allerdings den schweren Störfall an anderer Stelle, und zwar im GKSS-Forschungszentrum in Geesthacht, lokalisieren zu können. Mehrere Wissenschaftler fanden in Bodenproben winzige Kügelchen, die unter anderem Spuren von Thorium und angereichertes Uran enthielten.
Nach Überzeugung der Bürgerinitiative sind sie im September 1986 aus dem GKSS-Forschungszentrum freigesetzt worden, als ein Experiment zu Hybridreaktoren, die Kernfusion und Kernspaltung kombinieren sollen, fehlschlug. Allerdings konnten die Kügelchen bei offiziell veranlassten Untersuchungen nie nachgewiesen werden.
Mittlerweile hat mit Professor Wladislaw Mironow, der gestern zwei Stunden in der Landtagsanhörung zwei Stunden lang Rede und Antwort stand, immerhin ein renommierte weißrussischer Wissenschaftler die Kügelchen-Theorie bestätigt. Der Sozialausschuss des Landtages will auf Grundlage der Anhörung über weitere Untersuchungen entscheiden. JÜRGEN VOGES