: Regenerative ganz am Anfang
KLIMAWANDEL Weltweit kommt nur 0,4 Prozent der Energie aus erneuerbaren Quellen, schreibt der UN-Klimarat. Ohne technologische Durchbrüche dominiere weiter das Öl
VON BERNHARD PÖTTER
Zwei Monate nach dem Atomdesaster von Fukushima ist die Meinung in Deutschland einhellig: Die Energien der Zukunft sind die erneuerbaren. Auf der globalen Ebene ist das überhaupt nicht so klar. „Für den internationalen Klimaschutz mit hohen Anteilen an erneuerbaren Energien wird über die nächsten Jahrzehnte ein struktureller Wandel in den heutigen Energiesystemen benötigt“, schreibt der UN-Klimarat IPCC in einem bislang unveröffentlichten Gutachten, das der taz vorliegt und an diesem Montag veröffentlicht wird.
Die UN-Mitglieder diskutierten den Bericht am Wochenende beim turnusgemäßen IPCC-Treffen, dieses Mal in Abu Dhabi. Das Gremium aus Wissenschaftlern und Politikern trägt darin sehr vorsichtig und konservativ Zahlen und Argumente zusammen, wie der Ausbau von Energie aus Wind, Sonne und Biomasse zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen kann. Das Fazit: Wirksamer Klimaschutz sei „ohne die Option der Erneuerbaren möglicherweise nicht erreichbar“ – aber einfach wird das nicht.
Das liegt schon an der Ausgangslage. Denn „erneuerbare Energie“ bedeutet weltweit in den meisten Fällen: Heizen und Kochen mit Holz und Dung. Etwa 13 Prozent des weltweiten Primärenergieverbrauchs basieren nach Zahlen der internationalen Energieagentur IEA auf erneuerbaren Energien, 10 Prozentpunkte davon aber auf „Biomasse“, die zu mehr als der Hälfte in „traditioneller“ Weise genutzt wird.
19 Prozent des weltweiten Stroms stammt aus den regenerativen Energien, aber 16 Prozentpunkte davon kommen aus großen Staudämmen, die ökologisch bedenklich sind. Umweltschonende Energieformen wie Windkraft, moderne Biomasse oder Solarenergie wachsen zwar enorm, machen aber bis 2008 – der Datenbasis des Reports – weltweit nur 0,4 Prozent der Energieerzeugung aus.
Deshalb ist das IPCC vorsichtig, die Perspektiven nicht zu rosig zu malen. Immerhin sei „wirtschaftliche Entwicklung in der Geschichte bisher immer mit hohem Energieverbrauch und hohen Emissionen von Treibhausgasen verbunden gewesen“. Und ohne technologische Durchbrüche werde das Öl auch weiterhin „das Energiesystem der Zukunft dominieren“, heißt es in dem Text. Er dient als Zwischenbilanz auf dem Weg zum 5. Sachstandsbericht, der in einigen Jahren erwartet wird. Wie alle IPCC-Berichte ist er ein ausbalanciertes Dokument, das 164 Studien ausgewertet hat, die wissenschaftliche Debatte zusammenfasst und trotzdem von allen Staaten – auch den Klimabremsern und Ölländern – mitgetragen werden muss.
Der Bericht stellt klar, dass Strom aus Erneuerbaren die beste Klimabilanz hat, auch gegenüber der „sauberen Kohle“, bei der das Kohlendioxid im Boden gespeichert wird. Das „Risiko schwerer Unfälle“ ist geringer als bei anderen Techniken. Zwischen 2010 und 2050 könnten die Erneuerbaren auf bis zu 77 Prozent der globalen Stromversorgung ausgebaut werden und zwischen 15 und 30 Prozent der gesamten Treibhausgase einsparen. Kosten würde dieser Ausbau im ersten Jahrzehnt zwischen 1,4 und 5,1 Billionen Dollar, was aber mit den Einsparungen für fossile Energien verrechnet werden müsse. Das Geld müsse aus verschiedenen Quellen kommen – keinesfalls sind es Kosten der Steuerzahler.
Der Report erwähnt „Marktversagen“: Forschungsergebnisse kämen nicht nur dem Investor, sondern der gesamten Gesellschaft zugute, was Ausgaben für Forschung erschwere. Und die externen Kosten der fossilen Energien, etwa die Schäden durch den Klimawandel, würden ihnen kaum zugerechnet. Alle Szenarien zeigen aber laut IPCC, dass es nicht am fehlenden technischen Potenzial liege, wenn die Erneuerbaren es schwer haben: Immerhin würden in den Rechnungen auch bei massivem Ausbau der Techniken 2050 „weniger als 2,5 Prozent des globalen Potenzials von erneuerbaren Energien genutzt“.
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