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Archiv-Artikel

Die Neoprotestantische Ethik

Von Killerspielen lernen heißt auch arbeiten lernen: David Pfeifers Streitschrift „Klick. Wie moderne Medien uns klüger machen“

VON KOLJA MENSING

Am 20. November vergangenen Jahres betrat ein junger Mann im niedersächsischen Emsdetten schwer bewaffnet das Gebäude einer Realschule. Bastian B. schoss wahllos um sich, verletzte eine Reihe von Schülern und den Hausmeister und tötete sich anschließend selbst. Als bekannt wurde, dass der 18 Jahre alte Amokläufer in seiner Freizeit das Computerspiel Counter-Strike gespielt hatte, entbrannte ein heftiger Streit um das Verbot sogenannter Killerspiele, der schon bald allgemeinere Züge annahm. Wissenschaftler wie der Kriminologe Christian Pfeiffer und der Psychiater Manfred Spitzer („Vorsicht: Bildschirm“) erkannten im ausdauernden Fernseh- und Internetkonsum von Teenagern die Hauptursache für die deutsche Bildungsmisere.

Die Fakten hinter diesen Behauptungen waren dünn, die Killerspiel-Debatte wurde vor allem durch die „gefühlte Wahrnehmung in den Medien“ bestimmt. Es ist darum zu begrüßen, dass der Journalist David Pfeifer den „berufsmäßigen Mahnern“ und der „Warnungsindustrie“ mit seinem Sachbuch „Klick“ den Kampf ansagt. Pfeifer, in den Neunzigern Chefredakteur des Internet-Magazins Konr@d, möchte Schluss machen mit den weit verbreiteten Ressentiments gegenüber Fernsehen, Computer und Internet und der „deutsch-romantischen Abwehr alles Technischen“. Seine These: Moderne Medien machen uns nicht dumm und gewalttätig, sie machen uns klüger.

Die Belege halten kaum Überraschungen bereit. David Pfeifer zitiert eine OECD-Studie, nach der 15-Jährige mit Computerkenntnissen höhere schulische Leistungen erbringen, und weist auf Untersuchungen hin, nach denen Simulationen wie „Die Sims“ die sozialen Fähigkeiten ihrer Mitspieler fördern. Er erwähnt ein medizinisches Forschungszentrum, in dem Chirurgen an der Spielkonsole ihre motorischen Fähigkeiten für minimal-invasive Eingriffe verbessern, und er führt innovative Fernsehserien wie „Lost“ oder die „Sopranos“ als Beispiel dafür an, dass die „Medieninhalte anspruchsvoller werden“. Vieles davon hat man in den vergangenen Monaten bereits in den Zeitungen gelesen – und dazu kommt, dass David Pfeifer eine Menge Material dem sehr viel sorgfältiger recherchierten und intellektuell anspruchsvolleren Essay des amerikanischen Kulturwissenschaftlers Steven Johnson übernommen hat: „Die neue Intelligenz. Warum wir durch Computerspiele und TV klüger werden“ (KiWi 2006).

Beunruhigender als die unter Sachbuchautoren verbreitete Praxis des „copy and paste“ ist die Tatsache, dass in David Pfeifers Streitschrift reflektiertere Überlegungen zu den neuen Medien hinter Marketingphrasen und Key-Note-Geschwätz zurücktreten müssen. Schöne neue Welt, und fertig. Mit keinem Wort wird etwa die erbitterte Debatte über die politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen von Wikipedia und anderen gemeinschaftlich strukturieren Internetangeboten erwähnt, die Jaron Lanier angestoßen hat und die in den USA unter dem Stichwort „digitaler Maoismus“ geführt wird. Statt dessen preist David Pfeifer die vermeintlichen Segnungen der „kollektiven Intelligenz“, die sich in den Wikis, Blogs und Foren manifestiert, und schwärmt von „Meinungsfreiheit“ und „Gegenöffentlichkeit“. Derart unschuldig ist das Internet lange nicht mehr.

Warum also dieses Buch? Hinter dem oberflächlichen Lob auf die neuen Medien verbirgt sich eine Haltung, bei der sich naive Hightech-Propaganda in die ideologische Verklärung der Leistungsgesellschaft verwandelt. Besonders deutlich wird das, wenn Pfeifer die Anforderungen des modernen Arbeitsalltags beschwört, in dem „verlangt wird, dass ich blitzschnell umschalten kann zwischen unterschiedlichen Anforderungen, gleichzeitig den Überblick behalte und einen andauernden Abgleich vornehme, zwischen dem, was ich tippe, schalte oder lenke, und dem eigenen Denken“. Und das übt man eben am besten an der Spielkonsole. „Der Umgang mit modernen Medien“, jubelt der 1970 geborene Autor, „trainiert uns Menschen.“

Die Wohnzimmercouch wird zum Assessmentcenter, Dappeln und Zappen zum Dauerbewerbungstraining: Da zeigt sich die Verwandtschaft zu der von Holm Friebe und Sascha Lobo propagierten „digitalen Boheme“, deren Angehörige ja auch zu Vollzeitunternehmern in eigener Sache werden. Wir erfahren, dass das Manuskript zu „Klick“ in „München, in Hamburg, in Berlin, in Paris, auf Mallorca und in La Baule am Strand“ entstanden ist, und Pfeifer verkündet stolz: „Ich habe keinen Urlaub gemacht an diesen Orten, ich habe gearbeitet.“ So treibt die von Max Weber beschriebene protestantische Ethik und ihre „Lebensführung auf der Grundlage einer Berufsidee“ neue Blüten. Mithilfe des Internets wird die Erwerbsarbeit zum Dauerzustand.

Damit steht David Pfeifer seinen vermeintlichen Gegnern aus der „Warnungsindustrie“ zuletzt näher, als ihm eigentlich lieb ist. Ob man wie Christian Pfeiffer oder Manfred Spitzer in der stundenlangen Beschäftigung mit Computerspielen ein Hindernis für die Bildungskarriere erkennen will oder sich mit Counter-Strike auf eine erfolgreiche berufliche Laufbahn vorbereitet – beides läuft darauf hinaus, das Individuum möglichst früh den ökonomischen Anforderungen der Informationsgesellschaft unterzuordnen. Kein Wunder, dass Schüler Amok laufen.

David Pfeifer: „Klick. Wie moderne Medien uns klüger machen“. Campus, Frankfurt a. M. 2007, 177 S., 17,90 €