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Archiv-Artikel

Politische Proteste in Pakistan werden lauter

Tausende demonstrieren gegen die Absetzung des Obersten Richters. Musharraf lotet neue politische Allianzen aus

DELHI taz ■ Pakistan wählt zwar erst Ende des Jahres einen neuen Präsidenten und ein neues Parlament, doch die Urnengänge werfen bereits jetzt lange innenpolitische Schatten voraus. Gestern versammelten sich in Islamabad rund 2.000 Menschen zur bislang größten Demonstration gegen die Absetzung des Obersten Richters Iftikhar Chaudhry vor einem Monat. Mit dem Schritt hatte sich Musharraf nach Meinung vieler Beobachter „Richter-Aktivismus“ gegen seine Doppelrolle als Präsident und Militärchef ersparen wollen.

Erstmals nahmen neben zahlreichen Berufskollegen Chaudrys auch viele Vertreter politischer Parteien an den Protesten vor dem Gebäude des Obersten Gerichtes teil. Von islamistischen Gruppierungen bis zur großen säkularen Volkspartei PPP reichte das Spektrum der Demonstrierenden, die „Weg mit Musharraf!“ skandierten und Musharraf-Puppen verbrannten.

Die seit Wochen andauernden landesweiten Proteste gegen die Suspendierung Chaudrys zeigen, dass die Popularität Musharrafs zumindest in den Städten Pakistans schwer gelitten hat und von rechts und links unter Druck kommt. Die Islamisten sehen in ihm einen Lakaien Washingtons, während die gemäßigten Parteien sein Regime als „gewählte Diktatur“ verurteilen. Die Popularität der Proteste deutet darauf hin, dass Musharraf Mühe haben könnte, die Wahl der ihm nahe stehenden PML-Q – einer Abspaltung der Muslimliga von Expremier Nawar Sharif – zu garantieren. Deshalb kam es einer Sensation gleich, als letzte Woche die Korruptionsvorwürfe gegen die im Exil lebende frühere Premierministerin Benazir Bhutto fallengelassen, der Interpol-Haftbefehl gegen sie aufgehoben und der zuständige Untersuchungsrichter versetzt wurden. Bislang hatte sich Musharraf immer in harschen Tönen gegen die Rückkehr Bhuttos und Sharifs ausgesprochen, die er „des Raubs der Staatskasse“ beschuldigte. Bedeutet die Kehrtwendung also ein Signal an Bhuttos Volkspartei PPP, dass Musharraf mit ihr ins Gespräch kommen wollte? Parteivertreter wiesen jeden Kontakt entrüstet zurück und bekannten sich zum Pakt zwischen Bhutto und dem ebenfalls exilierten Sharif, der jeden Handel mit dem Regime ausschließt, solange Musharraf die beiden Politiker nicht zurück ins Land lässt. Am Montag bestätigte Bhutto jedoch in einem Fernsehinterview, dass es Kontakte mit Regierungsemissären gebe, „mit dem Ziel, die Demokratie wiederherzustellen“. Dies bedeute aber, sagte die PPP-Präsidentin in London, dass Präsident Musharraf seine Armeeuniform ablegen müsse: „Demokratie und Uniform gehen nicht zusammen.“

Die weitgehende Diskreditierung der Regierungspartei PML-Q durch diverse Wirtschaftsaffären und Politikskandale und der Widerstand gegen Musharrafs Doppelrolle zwingen den Militärmachthaber offenbar, im Hinblick auf seine Wiederwahl und ein gutes Abschneiden seiner Muslim-Liga-Fraktion nach neuen Partnern Ausschau zu halten. Im Jahr 2002 war es die Islamisten-Koalition der MMA gewesen, die er hofiert und denen er den Sieg in den beiden Grenzprovinzen zu Afghanistan gesichert hatte. Es ist klar, dass dieser Schachzug nicht noch einmal möglich ist. Die Islamisten fühlen sich von Musharraf verraten, aber auch Washington würde dies nicht mehr zulassen, nachdem sich gezeigt hat, was für fatale Konsequenzen dieses Doppelspiel im Hinblick auf das Wiedererstarken der Taliban in Afghanistan gehabt hat. Benazir Bhutto ihrerseits ist scharf darauf, wieder nach Pakistan zurückzukehren und möglicherweise zum dritten Mal Premierministerin zu werden. Ihre Erklärung vom Montag lässt durchblicken, dass sie bereit wäre, dabei einen – zivilen – Präsidenten Musharraf über sich zu akzeptieren. BERNARD IMHASLY