: „Konsumenten wollen klare Spielregeln“
Die EU-Verbraucherkommissarin Meglena Kuneva will dafür sorgen, dass Kunden seltener „übers Ohr gehauen“ werden. Dazu soll der Handel im Internet neu geregelt werden. Verbraucher könnten Onlinegeschäfte dann leichter rückgängig machen
Meglena Kuneva,49, ist seit Januar EU-Kommissarin für Verbraucherschutz. Die promovierte Juristin kommt aus Bulgarien. Als ihr erstes Brüsseler Projekt hat sie ein Grünbuch, also ein Diskussionspapier, vorgelegt. Das Thema: Die Überprüfung des gemeinschaftlichen Besitzstandes im Verbraucherschutz.
INTERVIEW: H. GERSMANNN UND N. MESSMER
taz: Frau Kuneva, ein Deutscher bestellt in Frankreich einen Gartenstuhl. Der Stuhl wird geliefert, hat aber Macken. Was raten Sie?
Meglena Kuneva: Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als die französischen Regeln zu durchforsten. Muss ein Hersteller in Frankreich den Stuhl reparieren? Oder bekommt der Kunde sofort sein Geld zurück? Muss er dafür eine Umtauschfrist einhalten?
Und muss er?
Da behält niemand den Überblick. Wir haben 27 Staaten mit eigenen Vorgaben. Jeden Tag schicken uns Bürger Briefe, in denen sie Geschäfte beschreiben, bei denen sie nicht weiterwissen. Wir möchten die 493 Millionen europäischen Verbraucher besser schützen – mit einem einheitlichen Regelwerk.
Vor allem wollen Sie Geschäfte im Internet einfacher machen. Wie denn?
Jemand, der gebrauchte Kleidung oder Küchenzubehör im Internet kauft, ist nicht durch die herkömmlichen Verbraucherrechte geschützt. Bei Ebay aber ist das anders.
Was meinen Sie?
Auf diesem Onlinemarktplatz gibt es eine Selbstregulierung. Denn der Käufer kann Bewertungen für den Verkäufer abgeben. Hält dieser sich nicht an sein Angebot, bekommt er ein „negativ“. Das kann dann jeder sehen. Die Chance ist gering, dass er so noch weitere Käufer prellen kann. Das könnte ein Beispiel für die Wirtschaft sein.
Und wie kommt der zu seinem Recht, der zuerst geprellt wurde?
Wir wollen die Rückgaberechte bei Onlinekäufen stärken. Der Kunde muss einfacher von einem Geschäft zurücktreten können. Einkaufen im Internet soll genauso sein wie im Laden.
Aber auch im Laden soll sich was ändern: Bisher haftet der Händler für fehlerhafte Ware. Sie wollen die Produzenten verpflichten, ein neues europäisches Rücknahmesystem aufbauen. Was erhoffen Sie sich davon?
Wir würden dem Kunden so gerne einen weiten Gang zum Geschäft ersparen. Wer sich im Urlaub eine Kamera kauft, bringt sie doch nicht dorthin zurück, wenn nach einem Monat ein Fehler auftaucht. Besser wäre, er könnte sie zu Hause abgeben.
Wie oft kaufen Deutsche in Spanien oder Italien ein?
Noch ist das selten. Beim Onlinehandel machen die europaweiten Geschäfte derzeit nur sechs Prozent aus. Ein Hamburger traut sich nicht, auf einer Internetseite aus Valencia oder Sofia einzukaufen. Wir wollen mehr Sicherheit schaffen.
Wie erfahren die Bürger von ihren neuen Rechten?
Über die Europäischen Verbraucherzentralen. In Deutschland gibt es davon zwei, eine im schleswig-holsteinischen Kiel und eine im baden-württembergischen Kehl. Dort kann jeder anrufen. Oder man schaut im Internet unter www.evz.de.
Mehr Sicherheit für Kunden heißt mehr Pflichten für Firmen. Wie überzeugen Sie die Wirtschaft von ihren Plänen?
Konsumenten wollen klare Spielregeln. Sie kaufen lieber von zuverlässigen Herstellern. Wir machen also ein Förderprogramm für seriöse Firmen.
Die deutsche Industrie fürchtet, dass es künftig Sammelklagen wie in den USA gibt, die teuer werden könnten. Die Angst ist unberechtigt?
Ja, denn wir wollen nicht die USA imitieren. Wir prüfen eine andere Form der kollektiven Entschädigung. So wäre es denkbar, dass Verbraucher aus verschiedenen EU-Staaten künftig gemeinsam Ansprüche gegen Anbieter fehlerhafter Produkte oder Dienstleistungen einklagen können.
Was ist dann anders als in den USA?
Nehmen Sie ein Verfahren gegen eine Fluglinie. Auf einem Flughafen sind 700 Leute sitzengeblieben. 100 davon entschließen sich zu einer Klage. Gewinnen sie, muss das Unternehmen nach amerikanischem Recht alle 700 Passagiere entschädigen. Bei der kollektiven Entschädigung, die wir prüfen, bekommen nur die 100 Kläger Geld.
Nur 30 Prozent der EU-Bürger halten den Verbraucherschutz für wichtig. Wieso greift die Politik überhaupt ein?
In Europa gab es immer nur den Streit zwischen Kapital und Arbeit. Wir haben zu lange den dritten Spieler übersehen, den Verbraucher. Und niemand will übers Ohr gehauen werden.