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Archiv-Artikel

„Es geht erst mal darum, im Alltag zu überleben“

TRAUER Der Verein „Hamburg Leuchtfeuer“ bietet neben einem Hospiz auch Trauerbegleitung an. Peggy Steinhauser hilft dabei, Verlust zu verarbeiten

Peggy Steinhauser

■ 41, Theologin und Trauerbegleiterin, seit sieben Jahren bei „Hamburg Leuchtfeuer“.Foto: Asmus Henkel

INTERVIEW NORA KOLHOFF

taz: Frau Steinhauser, braucht jeder Trauernde eine Trauerbegleitung?

Peggy Steinhauser: Nein, für viele ist es jedoch sinnvoll, eine neutrale Person von außen zu haben. Selbst dann, wenn sie durch Freunde und Familie gut eingebettet sind. Sie suchen sich diese Hilfe selbst, wenn es für sie der passende Weg ist.

Macht es einen Unterschied, ob Sie alte oder junge Menschen begleiten?

Alle Altersgruppen kommen zu uns. Viele denken, es kämen eher einsame, alte Menschen, aber Trauer betrifft jeden. Natürlich sind die Fragestellungen bei einer jungen Mutter, die ihren Partner verloren hat, andere als bei einer älteren Frau, die ein langes, gemeinsames Leben mit ihrem Mann hatte. Man kann aber nicht pauschal sagen, ein Verlust sei schlimmer als ein anderer. Es gibt für mich keine Hierarchie der Trauer.

Was tun Sie genau?

Wir führen Gespräche. Ein Kernstück ist die Erinnerung an den Verstorbenen. Wir drängen niemanden dazu, seine Gefühle offenzulegen. Das Wichtige ist, die Menschen zu stabilisieren. Für viele Menschen geht es erst mal darum, im Alltag zu überleben. Oft fragen sie sich, wie sie mit der Familie, den Kindern umgehen können.

Ist es sinnvoll, direkt wieder in den Alltag überzugehen?

Für manche ist es wichtig, eine tägliche Struktur und gezielte Trauerpausen zu haben – aber nicht für alle. Ratschläge von außerhalb nach dem Motto: „Geh’ doch wieder arbeiten, dass wird dir gut tun“, sind nicht hilfreich. Der Trauernde muss selbst herausfinden, was zu ihm passt.

Was können Freunde und Bekannte von Trauernden tun?

Sinnvoll ist, auf Ratschläge zu verzichten und stattdessen zu fragen: „Was brauchst du jetzt?“ Die vielen Tipps von außerhalb sind ein enormer zusätzlicher Druck. Oft ist es gut, seinen Impulsen zu folgen.

Ist die Trauerbegleitung eine Therapie?

Nein, wir beraten nur. Für viele Trauernde ist genau das auch sehr wichtig.

Wann ist die Begleitung beendet?

Ich habe mal in einem Vortrag gehört, Trauer könne von drei Tagen bis lebenslang anhalten. Die Erfahrung habe ich auch gemacht. Es geht uns nicht darum, die Trauer zu beenden, sondern die Menschen in eine gewisse Balance zu bringen. Eine Mutter, die um ihr Kind trauert, hat in ihrem Leben immer wieder Tiefpunkte. Da bringt es nichts zu sagen: Jetzt muss es auch mal gut sein. Die Mutter möchte vielleicht nicht, dass es wieder gut ist. Es geht um den passenden Umgang mit der eigenen Trauer, nicht darum, sie zu verkürzen.

Hospize für alle

■ Zum Welthospiztag am 11. Oktober stellen sich in Hamburg von 13 bis 17 Uhr alle Einrichtungen des Landesverbandes Hospiz- und Palliativarbeit im Veranstaltungshaus Hühnerposten vor.

■ Die Hamburger Hospizwoche findet vom 12. bis 19. Oktober mit 72 Veranstaltungen zum Thema Sterben und Trauer statt. Unter anderem berichten ehrenamtliche Sterbebegleiter von ihrer Arbeit, eine palliative Stadtrundfahrt wird angeboten, Hospize können besichtigt werden und ethische Fragen werden diskutiert. Nähere Informationen gibt es unter www.welthospiztag-hamburg.de.

Zu welchem Zeitpunkt kommen die Menschen zu Ihnen?

Das ist unterschiedlich. Einmal kam eine Trauernde 50 Jahre nach dem Verlust zu uns. Manche leben ihre Trauer ritualisiert. Sie kommen dann vielleicht nur einmal im Jahr. Trauer ist nicht abhängig davon, wann der Verlust war. Dennoch kann man sagen, dass das erste Jahr eine besondere Bedeutung hat.

Gibt es Prozesse, die alle Trauernden durchlaufen?

Vom Trauerphasenmodell haben wir uns verabschiedet. Trauer verläuft nicht linear. Vielmehr stehen Trauernde vor verschiedenen Herausforderungen, zum Beispiel vor der Frage, wie sie eine dauerhafte Verbindung zum Verstorbenen wahren können. Es geht nicht darum, Verstorbene loszulassen. Das wollen die meisten gar nicht. Die Frage ist, wie der Verstorbene im stabilen Weiterleben einen Platz haben kann. Zu realisieren, dass der Zugehörige wirklich tot ist – auch das ist eine Aufgabe für Trauernde.

Wie helfen Sie, mit Momenten der Verzweiflung umzugehen?

Wir ermutigen Menschen, Gefühle zuzulassen. Das ist ein Zeichen, dass die Trauer sich ihren Platz nimmt. Auch Wut kann dazugehören. Manche Trauernde schämen sich, dass sie wütend auf den Verstorbenen sind. Dabei ist das eine völlig normale Reaktion, die nichts mit der Person selbst zu tun hat. Wir möchten, dass die Trauernden für sich den passenden Weg finden. Den kennen sie selbst am besten, wir unterstützen sie bei der Suche.