piwik no script img

Archiv-Artikel

Die Imitation, die das Original ruiniert

Angriff der Baubagger: New York boomt, Investoren haben riesige Projekte auf den Weg gebracht. Kritiker befürchten aber, dass die Stadt damit noch teurer und langweilig wird

VON JOHANNES NOVY

New York wächst wieder. Und das schneller, als manch einem lieb ist. Noch vor wenigen Jahren, unmittelbar nach den Anschlägen des 11. September 2001, zweifelten viele Beobachter an der Zukunftsfähigkeit New Yorks. Zu groß war der Schock über das Geschehene, zu groß die Angst, dass Bewohner und Unternehmen als Reaktion auf die Katastrophe und aus Furcht vor weiteren Anschlägen der Stadt den Rücken kehren würden. Heute, fünfeinhalb Jahre nach den Anschlägen auf das World Trade Center, steht die Stadt wirtschaftlich so gut da wie seit Jahrzehnten nicht mehr und verzeichnet statt des befürchteten Bevölkerungsrückgangs wachsende Einwohnerzahlen. Neuesten Berechnungen zufolge werden im Jahr 2030 etwa 800.000 mehr Bewohner als heute und damit insgesamt über neun Millionen Menschen in New York leben. So viele wie nie zuvor in der Geschichte der Stadt.

Die Auswirkungen des Bevölkerungs- und Wirtschaftsbooms New Yorks sind schon jetzt unübersehbar. Der Immobilienmarkt brummt und es wird so viel gebaut wie seit Jahrzehnten nicht. Überall entstehen neue Wohn- und Geschäftsbauten, neue Straßen und Parks. Stadtteile verändern ihr Gesicht und der Wiederaufbau Lower Manhattans ist längst nur noch eines von vielen Großprojekten.

Neue Giganten

So soll im Zentrum Brooklyns zum Beispiel in den nächsten Jahren ein Komplex aus 16 bis zu 200 Meter hohen Wohn- und Bürohochhäusern und einer Basketballarena entstehen. Nicht unbedingt zur Freude der Anwohner. Das von Stararchitekt Frank Gehry im Auftrag des einflussreichen Bauherrn Bruce Ratner erarbeitete Projekt Atlantic Yards ignoriere die Qualitäten angrenzender Nachbarschaften und sei ohne angemessene Beteiligung der Anwohner durchgesetzt worden, klagt etwa Daniel Goldstein, der Sprecher der Bürgerinitiative „Develop, don’t destroy Brooklyn“, die zu den entschiedensten Gegnern des größten Bauprojekts in der Geschichte New Yorks zählt. Dass Ratner, der an dem Atlantic-Yards-Projekt Schätzungen zufolge eine knappe Milliarde Dollar verdienen wird, darüber hinaus auch noch reichlich öffentliche Zuschüsse erhalten soll, sorgt für zusätzliche Aufregung.

Nicht viel anders sieht es ein paar Kilometer südlich in Coney Island aus. Auch dort sollen bald die Baubagger anrollen und auch dort gehen Bürger gegen die Pläne eines Developers auf die Barrikaden. Nach Jahrzehnten des Niedergangs hatte sich das von Rem Koolhaas in seinem Manifest „Delirious New York“ als städtisches Laboratorium gefeierte Vergnügungsviertel am Atlantikufer in den letzten Jahren wieder zu einem beliebten Ausflugsziel entwickelt. Neue Fahrgeschäfte und Jahrmarktattraktionen entstanden, Künstler und Kreative bezogen leer stehende Ladenlokale und Menschen unterschiedlicher sozialer Schichtung und Herkunft flanierten – fast wie zu Coney Islands Glanzzeiten Anfang des letzten Jahrhunderts – wieder zu Zehntausenden über die bis heute etwas abgerockt daherkommende Uferpromenade.

Save Coney Island

Weil sich mit dem bunten Jahrmarktmix jedoch nicht gerade viel Profit machen lässt, drängt das Immobilienunternehmen Thor Equities, das in den letzten Jahren weite Teile Coney Islands erworben hatte, die Stadt jetzt dazu, auch den Bau luxuriöser Apartmentgebäude und Hotels entlang der Uferpromenade zuzulassen. Besonders dort befinden sich allerdings auch viele der Kirmesbetriebe, und damit sich die Stadt ihre Entscheidung über die Zukunft Coney Islands nicht zu schwer macht oder sich womöglich gar für den Erhalt der existierenden Nutzungen ausspricht, schafft Thor Equities Tatsachen: Das Unternehmen setzt lokale Geschäftsleute vor die Tür und lässt das Areal, wie Anwohner erzählen, zusehends verwahrlosen.

Zwar gelang es der Bürgerinitiative „Save Coney Island“ in den vergangen Wochen, immer wieder auf das Geschäftsgebaren des Immobilienunternehmens aufmerksam zu machen. Doch selbst wenn die Stadt ihrer Forderung nachkommt und auch in Zukunft keine Wohngebäude und Hotels zulässt: Coney Islands Underground-Charme ist mit den milliardenschweren Plänen Thor Equities, das Areal in ein zweites Las Vegas zu verwandeln, nicht vereinbar und das Immobilienunternehmen macht keinen Hehl daraus, dass die Drag Queens, Freaks und Immigranten, die Coney Island gegenwärtig ihr Zuhause nennen und es zu dem machen, was es ist, sich bald ein neue Heimat suchen müssen.

Coney Island und das Atlantic-Yards-Projekt sind keine Einzelfälle, denn auch in vielen anderen Nachbarschaften New Yorks befinden sich prestigeträchtige Großprojekte in Planung oder im Bau, die das Gesicht der Ostküstenmetropole verändern werden. Die derzeitige Bau- und Planungseuphorie ist dabei nicht ausschließlich dem florierenden Immobilienmarkt, sondern auch der Politik des New Yorker Bürgermeisters Michael Bloomberg zu verdanken. Er hat der Stadt einen radikalen Umbau verordnet, um – so die offizielle Darstellung – New Yorks Spitzenposition im internationalen Städtewettbewerb zu verteidigen oder gar auszubauen und die Stadt auf das prognostizierte Bevölkerungswachstum der nächsten Jahre vorzubereiten.

An sich keine schlechte Idee, finden viele Experten, die Bloomberg besonders wegen seiner professionellen Amtsführung schätzen, ihm aber gleichzeitig vorwerfen, es mit seiner wachstumsorientierten Politik mitunter etwas zu sehr zu übertreiben. Es werde nicht genug Rücksicht auf die Belange sozial schwacher Bewohner genommen, klagen Stadtplaner, die darauf hinweisen, dass New York angesichts ständig steigender Mieten und Immobilienpreise für weite Teile der Bevölkerung zunehmend unbezahlbar wird. Einkommensschwache Bevölkerungsgruppen werden an den Rand der Stadt gedrängt oder landen auf der Straße, während sich innerstädtische Nachbarschaften zusehends in Enklaven der Reichen und Superreichen verwandeln.

Alles optisch Mittelschicht

Das sei nicht nur unsozial, sondern mache New York darüber hinaus langweilig und vorhersehbar, meinen die Autoren eines kürzlich bei Princeton Architectural Press erschienenen Buchs mit dem vielsagenden Titel „The Suburbanization of New York“. Vierzehn von renommierten und weniger bekannten Autoren geschriebene Essays befassen sich in dem von Jerilou und Kingsley Hammett herausgegebenen Sammelband mit den verschiedenen Dimensionen des gegenwärtigen Wandels New Yorks und beleuchten die Kehrseiten des eigentlich begrüßenswerten Comebacks der schon so oft totgesagten Metropole. Die der Untersuchung zugrunde liegende Leitfrage „Is the World’s Greatest City Becoming Just Another Town?“ wird dabei von den meisten Autoren bestätigt. New Yorks vielgepriesene Vielfalt und Eigenart würden zunehmend belanglosen Investorenprojekten zum Opfer fallen oder durch leicht konsumierbare Imitationen ihrer selbst ersetzt, so der Tenor vieler Beiträge. New Yorks Nachbarschaften würden den suburbanen Lebenswelten der Mittel- und Oberschicht immer ähnlicher. Setze sich dieser Prozess ungehindert fort, so die Autoren weiter, könne dies auch wirtschaftlich negative Folgen haben. Vielfalt und Eigenart seien wichtige Standortfaktoren im postindustriellen Zeitalter und New York drauf und dran, sie zu verspielen.

„The Suburbanization of New York“ zeichnet ein düsteres Bild von der Zukunft der Metropole. Ein Bild, das nahelegt, dass der Kampf gegen Kommerz und Kapital, gegen gesichtslose Investorenarchitektur, geltungssüchtige Großprojekte sowie gegen die Gentrifizierung und Homogenisierung intakter Nachbarschaften nicht zu gewinnen ist. Genau gegen diese Einschätzung wehren sich jedoch Akteure, die sich für einen behutsameren Umgang mit dem Kultur- und Lebensort Stadt einsetzen. It’s not over“, sagt zum Beispiel Dan Goldstein, der überzeugt ist, das umstrittene Atlantic-Yards-Projekt in Brooklyn noch stoppen zu können. Er wohnt in einem Apartmentgebäude, das sich ziemlich exakt dort befindet, wo die Basketballer der Brooklyn Nets ab 2011 auf Körbejagd gehen sollen. Es soll abgerissen werden, doch Goldstein weigert sich auszuziehen und hat mit anderen Anwohnern gegen seine drohende Enteignung Klage eingereicht. Der Abriss anderer Gebäude, die dem Projekt im Wege stehen, hat bereits begonnen.

Jerilou und Kingsley Hammett: „The Suburbanization of New York“. Princeton Architectural Press, 185 S.