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Archiv-Artikel

Die Ruhe selbst

Spielen gehen 1: Badminton in Weißensee. Das Quietschen der Schuhe, das Federn der Schläge, das Sirren des Balls – ein Ausflug zum Planeten Deutschlandnormal

Früher war der Sonntag manchmal so leicht depressiv unterwandert mit nachmittags Fußballgucken am Zaun und abends flippern in der schummrigen Kneipe. Das änderte sich, als Y. nach Berlin kam. Y. kam aus Schottland, hatte lange in Hongkong gelebt und jetzt war sie in Berlin. Sie machte ein Praktikum in einem berühmten Architektenbüro, mit vielen Praktikanten aus unterschiedlichen Ländern. Während der Arbeitszeit tauschten sie im Intranet Musik aus. Sie wurden schlecht bezahlt, bekamen aber gutes Essen. Das, was übrig blieb, konnten sie in Tupperwareschachteln nach Hause nehmen.

Y. war meist 12 Stunden am Tag auf Arbeit. Sie wunderte sich, dass ihre Kollegen noch mehr arbeiteten. Wir hatten wohl mit Badminton begonnen, um ihr etwas anderes zu bieten, und waren in dieser Halle in Weißensee gelandet, weil es dort am billigsten war. Meist spielten wir Doppel. U. hatte sich die Badmintonregeln aus dem Internet geholt und passte auf, dass wir alles richtig machten. Wie angenehm waren die Geräusche in der Halle! Das Quietschen der Turnschuhe, das Hin-und-Her-Rennen, die kurzen Ausrufe; das Federn der Schläge und wie der Federball durch die Luft sirrt.

Manchmal sahen wir zu den anderen. Viele spielten sehr gut, manche auch nur Federball. Ein austrainierter Körper bewegte sich ganz ungeschickt. Nach der Sauna guckten wir im Handtuch dampfend von einer Terrasse in den frühen Abend. Während die anderen gehen wollten, bestand ich darauf, noch ein wenig im Barbereich zu sitzen.

Das Toast Hawai war sehr liebevoll, das Eisbein kostete 2,50 und die Wände waren orange angemalt. Im Radio lief „Silly Love Songs“ von den Wings. Ich sagte, das wäre das beste Lied, das Paul McCartney je geschrieben hat; U. meinte, ich würde spinnen. Durch große Fenster beobachteten wir die Spieler.

Auf einer Leinwand lief VOX. Die Sendung hieß „Auto, Motor, Sport“ und war total beruhigend. Es ging um allerlei Vergehen. Ein Mann hatte zum Beispiel auf der Autobahn die Geschwindigkeit verringert. Deshalb hatte ihn sein Hintermann mit der Lichthupe angehupt. Erbost hatte der Angehupte sofort bei der Polizei angerufen, die dann nicht den Lichthuper, sondern den Denunzianten wegen Telefonierens am Steuer verurteilt hatte. Diese und andere Fälle vom Planeten Deutschlandnormal wurden angenehm billig nachgestellt. Oft ging es um Geschwindigkeit. Ein Autojournalist sagte bei Tempo 250: „Und Sie sehen, liebe Zuschauer: Das Auto ist die Ruhe selbst!“ Gern wär man’s auch selber.

Auf dem Rückweg fuhren wir an dem Schnellrestaurant „Nix-wie-weg 2“ vorbei. Das würde sich bestimmt gut mit dem Café „Melancholie 1“ an der Jannowitzbrücke verstehen.

DETLEF KUHLBRODT