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Archiv-Artikel

Auf alles gefasst

Sturm der Massen auf Rasseln und Flöten: Mit Akron/Family und Deerhof gaben sich gleich zwei sehr seltsame amerikanische Bands am Wochenende im Festsaal Kreuzberg die Klinke in die Hand

VON ANDREAS HARTMANN

Wer derzeit keinen zigfach um die Ecke gedachten Rock mit permanent einsturzgefährdeten Strukturen von sich gibt, der landet vielleicht noch bei MTV, aber nicht mehr im hippen Popdiskurs. Täglich werden neue, unglaublich verrückte Bands aus den USA abgefeiert, die sich in keine Raster und Muster mehr pressen lassen wollen. Hippietum und Punk, Jazz und Folk, alles lassen sie zusammenwachsen. Nichts mehr ist verboten außer der Langeweile.

Am Wochenende gab es in Berlin mal wieder eine ganze Wagenladung derart kurioser Acts im Festsaal Kreuzberg zu sehen. Am Freitag Josephine Foster und die Akron/Family, am Sonntag The Blow und Deerhoof, also die ganze Bandbreite von Eigenbrötlerfolk über urbanen Waldschratwahnsinn bis hin zu Dekonstruktionsrock.

Das Schöne bei derartigen Konzerten ist, dass man nie vorher weiß, was genau einen erwartet – vielleicht weil die Bands im Einzelnen selbst nicht genau wissen, was sie überhaupt bieten werden. Zum Beispiel die Akron/Family aus Brooklyn. Vor ihrem Auftritt lief Michael Jacksons „Thriller“ vom Band. Ob das so geplant war, ist schwer zu sagen, jedenfalls setzte der Vierer irgendwann zur Karaokeshow, an und gemeinsam mit dem Publikum wurde erst noch einmal der ehemalige „King of Pop“ gefeiert.

Danach kam der zu erwartende Trümmerrock, überbordend vor Fantasie, voll Lust auf funkelnde Seltsamkeiten, auf die Dauer jedoch ermüdend. Man dachte sich irgendwann: Jungs, lasst doch einfach mal laufen, macht doch bitte nicht jeden eurer hübschen Songs gleich wieder kaputt. Dieser Wunsch wurde erst am Ende erfüllt, als aus dem ganz okayen Konzert doch noch ein Großereignis wurde. Und wieder war nicht ganz klar, ob es geplant war, dass plötzlich ganze Massen aus dem Publikum auf die Bühne kletterten und sich schnappten, was sie an Flöten und Rasseln so finden konnten, und gemeinsam mit der Band schier endlos durch die Nacht jammten. Fast 20 Leute standen da entrückt auf der Bühne, bliesen, rasselten sich die Seele aus dem Leib oder verrenkten sich nun öffentlich im Ausdruckstanz, während die Band groovte wie den ganzen Abend nicht.

Ein derartiger Showdown hätte dem Auftritt von Deerhoof aus San Francisco am Sonntag auch gutgetan. Die Band, die den Simpsons-Erfinder Matt Groening zu ihren erklärten Fans zählt und sich in den gut zehn Jahren ihrer Existenz zu einer sicheren Größe im sperrigen Gitarrenrock im Schatten von Sonic Youth hochgespielt hat, gab sich für ausufernde Showmätzchen etwas zu diszipliniert. Sie suchte die Ereignishaftigkeit im Sound allein. Der bewegte sich permanent zwischen Aufbau und Absturz. Melodien wurden meist nur angedeutet, und bevor es zu gemütlich wurde, lieber in eine Eruption aus Gitarre, Schlagzeug, Bass überführt.

Dazu kam der einen mit seiner Süßlichkeit schier verrückt machende Gesang von Sängerin Satomi Matsuzaki, der auch beim größten Krach der Band die immer gleiche Ausdruckslosigkeit behielt. Improvisiert und die eigene Kontrolliertheit etwas aufgegeben wurde dann aber irgendwann doch noch. Nämlich als der Schlagzeuger zu seinen Deutschversuchen ansetzte. Das waren dann die Stellen, wo man wieder das Gefühl hatte, dass man bei diesen seltsamen amerikanischen Bands wirklich auf alles gefasst sein muss.