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Archiv-Artikel

„Wir haben keine Machtmittel“

Dass sie im Schatten des Autors steht, findet sie in Ordnung, die Honorierung durch die Verlage keineswegs: Brigitte Große, literarische Übersetzerin aus dem Französischen, berichtet morgen in Hamburg mit zwei Kolleginnen über ihre Arbeit

BRIGITTE GROSSE, 50, lebt seit 1996 als freie Übersetzerin aus dem Französischen in Hamburg. Sie hat unter anderem Texte von Arthur Goldschmidt und Frédéric Beigbeder übertragen.

taz: Sie übersetzen nicht nur berühmte Namen wie Amélie Nothomb, sondern auch unbekannte Autoren wie die Vietnamesin Linde Lê. Ist es ein harter Kampf, bei den Verlagen Unbekannte durchzusetzen?

Brigitte Große: Für mich nicht. Ich bekomme Übersetzungen meistens angeboten. Linda Lê hat zum Beispiel der Ammann-Verlag entdeckt, dessen Leiter diese Autorin sehr schätzt.

Sie bieten den Verlagen also nie von sich aus Autoren an?

Selten. Das ist mit großem Aufwand verbunden. Man muss viel recherchieren, muss herausfinden, ob die Rechte noch frei sind. Diesen Aufwand treibt man nur, wenn man jemanden entdeckt hat, den man sehr gut findet. Im englischen und französischen Sprachraum sind Entdeckungen kaum möglich. Dort haben die Verlage ihre Scouts. Bei kleineren Sprachen sind die Verlage allerdings auf die Empfehlungen der Übersetzer angewiesen.

Wie sind Sie Übersetzerin geworden?

Durch Zufall. Ich wollte eigentlich Lektorin werden und habe ein Verlagspraktikum gemacht. Irgendwann bin ich eingesprungen, weil ein Übersetzer ausgefallen war, und habe gefunden, dass es Spaß macht.

Ihr bevorzugtes Genre?

Ich schätze die Abwechslung. Ich galt allerdings lange als Spezialistin für schwierige Texte. Arthur Goldschmidt, dessen Essays ich übertragen habe, galt zum Beispiel als unübersetzbar. Das Problem dabei: Je schwieriger die Texte, desto weniger verdient man. Denn man arbeitet quasi im Akkord, wird also pro Seite bezahlt. Leichtere, schnell übersetzbare Texte bringen also mehr ein.

Wie groß ist der Verhandlungsspielraum bei den Honoraren?

Der Rahmen ist relativ festgelegt: Pro Seite werden 16 bis 20 Euro gezahlt.

Hat der Zeitdruck zugenommen?

Ja. Denn die Verlage orientieren sich zunehmend am internationalen Markt, und kaufen Bücher ein, die anderswo Bestseller sind. Außerdem ist es zunehmend so, dass die Übersetzung parallel zum Original erscheinen muss.

Was wäre ein angemessener Zeitraum für eine Übersetzung?

Man schafft im Durchschnitt 100 Seiten pro Monat. Für ein Buch von 300 Seiten wären das also drei Monate für die Übersetzung. Im besten Fall – bei den kleinen Verlagen eher als bei den großen – sieht danach eine Lektorin den Text durch. Macht vier Monate. Inklusive Satz und Druck käme man auf ein halbes Jahr.

Wird man bei so viel Zeitdruck noch den eigenen Ansprüchen gerecht?

Da ich – wie die meisten Übersetzer – Perfektionistin bin, arbeite ich dann auch nachts und am Wochenende.

Welches ist das größte Problem am Übersetzen?

Man muss bei jedem Buch einen neuen Ton entwickeln. Das merke ich selbst bei Autoren, von denen ich schon einiges übersetzt habe. Diesen Ton entwickelt man im Laufe des Übersetzens, und bis man ihn getroffen hat, ist man relativ unsicher. Im Übrigen birgt jeder Text seine eigenen Probleme. Amélie Nothomb erfindet zum Beispiel in ihrem neuen Roman „Reality Show“ eine Fernsehshow nach dem Muster des KZ. Ein in Deutschland besonders heikles Thema. Ich wusste außerdem, dass ihr Buch in Frankreich scharf angegriffen worden war. Diesen Text habe ich unter ständiger Anspannung übersetzt, damit ich nirgends abgleite. Habe skrupulös darauf geachtet, das ich keine missverständlichen Bilder verwende.

Sie sagten, man brauche eine Weile, um den Ton zu treffen. Wenn man ihn endlich gefunden hat: Fängt man dann noch mal von vorn an?

Das handhabt jeder verschieden. Aber grundsätzlich tätigen alle Übersetzer mindestens drei Durchgänge: eine Rohübersetzung, eine deutsche Fassung und schließlich den Abgleich mit dem Original, bei dem man entscheidet, wo man zu weit abgewichen ist.

Hat der Übersetzer stets Kontakt zum Autor?

Sofern lebendig, meist.

Lassen Sie sich von dem dann das Buch erklären? Oder vorlesen?

Ich lasse mir bestimmte Sachverhalte erklären.

Noch eine Frage zum Übersetzerdasein an sich: Fühlen Sie sich im Vergleich zum Autor minder anerkannt?

Es liegt in der Natur der Sache, dass der Übersetzer idealiter hinter dem Werk verschwindet. Ich fühle mich dadurch nicht benachteiligt. Wenn man das nicht erträgt, sollte man diesen Beruf nicht wählen. Was mich stört, ist die Honorarsituation. Denn da der Übersetzer normalerweise nicht sichtbar ist, hält es auch niemand für ein Problem, dass diese Arbeit so schlecht bezahlt wird.

Profitiert der Übersetzer von der Buchauflage?

Man versucht natürlich immer, in den Vertrag eine Beteiligung am Umsatz und an den Nebenrechten aufzunehmen. Das gelingt aber selten.

Gibt es eine Übersetzer-Lobby?

Die meisten sind im Übersetzerverband bei ver.di organisiert.

Aber der ist nicht stark genug, um bessere Honorare auszuhandeln?

Nein. Jeder einzelne versucht das auf dem Verhandlungsweg zu lösen. Denn es gab zwar die gesetzliche Vorgabe, dass die Verlage den Übersetzern angemessene Honorare zahlen sollen. Darüber wird aber seit fünf Jahren ergebnislos verhandelt. Das Problem ist, dass wir keine Machtmittel haben.

INTERVIEW: PETRA SCHELLEN

„Übersetzer packen aus“ mit Brigitte Große, Annette Kopetzki und Friederike Meltendorf: morgen, 20 Uhr, Buchladen Osterstraße, Hamburg