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Archiv-Artikel

Drinnen ist nicht wie draußen

Das Filmfestival „Achtung Berlin“ geht ganz marktgängig mit allen hippen Berlin-Attributen hausieren, um dann die meisten Filme in der Provinz oder gleich in Hamburg spielen zu lassen. Eine Hauptstadt-Perle findet sich aber noch

„Manchmal braucht es einen Berlinfilm, um die eigene Stadt wieder ein bisschen zu mögen“, schrieb Kollegin Christiane Rösinger, als auf der diesjährigen Berlinale Uli M. Schueppels „BerlinSong“ gezeigt wurde. Die Dokumentation über sechs Wahlberliner Singersongwriter läuft auch auf dem heute startenden Festival „Achtung Berlin“ im Babylon Mitte. Wenn man sich anschaut, was sonst noch im Rahmen der Veranstaltung, die sich selbst als „Verknüpfung von Filmfestival und Branchenevent“ bezeichnet, gezeigt wird, kriegt man das Gefühl: Manchmal braucht es ein Berlinfilmfestival, um wieder zu wissen, was an der eigenen Stadt so nervt.

Nicht, dass nicht schöne Filme dabei wären: „Schwarze Schafe“ von Oliver Rihs (Sa. 22.30 Uhr) ist zum Beispiel der größte und lustigste Quatsch, der seit langem im Kino zu sehen gewesen ist. In sechs Episoden durchlebt Berlins erste Film- und Theaterschauspielgarde das Übliche an scheinbar aufregendem Hauptstadtschnickschnack: drogendurchtränkte Clubnächte, wilde One-Night-Stands und lustige Begegnungen mit allerlei Randgruppen.

Aber wo Nicolette Krebitz’ Debüt „Jeans“ und die René-Pollesch-Collage „Stadt als Beute“ letztlich im Willen zur Kunst und zur Metropolen-Poesie verharrten, geht Rihs auf die Zwölf: Hände werden abgehackt, Omis sodomiert, voll gekackte Kloschüsseln umgekippt und zum Schluss noch zwei amtliche Morgenlatten gezeigt. Gerade in der Übertreibung aber führt Rihs die Schauspieler und ihre Figuren überraschend nah zusammen – zumindest erscheint es so, wenn Tom Schilling und Robert Stadlober zwei postpubertäre Slacker spielen, die bei einem „abgefahrenen Projekt“ mitmachen, oder Oktay Özdemir („Knallhart“) und Eralp Uzun („Alle lieben Jimmy“) die Obertürkprolls geben. Ansonsten aber sucht man im Programm vergebens nach Filmen, die ähnlich souverän die Stadt und ihre Bewohner als Erzählmaterial nutzen. Im Gegenteil: Berlin ist erstaunlich unpräsent auf diesem vermeintlichen Berlinfilmfestival.

Unter den Spielfilmen sticht etwa die präzise Milieustudie „Preußisch Gangstar“ von Werner Bartosz und Irma-Kinga Stelmach (Sa. 18 Uhr) hervor, die in ruhigen Bildern die kleinen und doch gewaltigen Umbrüche im Leben dreier Jugendlicher zeigt. Allerdings durchleben die drei Protagonisten ihren Alltag zwischen Schulproblemen und Rapper-Ambitionen in Buckow. Auch „AlleAlle“ (Fr. 21.15 Uhr) spielt in der brandenburgischen Provinz, wo Autor und Regisseur Pepe Planitzer eine unfreiwillige Wohngemeinschaft à la „Mifune“ schafft. In Clemens Schönborns „Der Letzte macht das Licht aus!“, der gestern das Festival eröffnete, wandern sogar drei Bauarbeiter ganz aus Deutschland aus.

Auch die Dokumentarfilm-Sektion handelt fast ausschließlich von Orten außerhalb: Maja Classens „Osdorf“ (Sa. 16 Uhr) folgt jugendlichen Migranten in der Hamburger Hochhaussiedlung Osdorfer Born. In „Mein Tod ist nicht dein Tod“ (Do. 21.15 Uhr) begibt sich Autor Lars Barthel auf die Spuren einer tragischen Liebe nach Indien. Und Sung-Hyung Cho untersucht in „Full Metal Village“ (heute 19 Uhr) nicht nur die Soziologie eines Heavy-Metal-Festivals in Schleswig-Holstein – der Film läuft ab morgen auch so regulär im Kino.

Tatsächlich steht im nicht so Kleingedruckten des Programms, dass sich die Auswahl aus „aktuellen Spiel- und Dokumentarfilmen, die von einer Berlin-Brandenburger Filmproduktion realisiert wurden und/oder einen thematischen Bezug zu Berlin aufweisen“ zusammensetzt. Da die in der Region produzierten Filme überwiegen, kommt „Achtung Berlin“ doch eher wie ein Filmförderungsfestival daher denn als ein Forum für die filmische Auseinandersetzung mit der Stadt. Dass man mit markigem Namen – „Achtung“, „New Berlin Film Award“ – trotzdem nicht auf diesen „Unsere Hauptstadt und ihre Kreativen“-Gestus verzichtet, ist genau das, was so oft in dieser Stadt nervt. HANNAH PILARCZYK

Alle Filme im Babylon Mitte. Gesamtprogramm: www.achtungberlin.de