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Archiv-Artikel

Autor der amerikanischen Apokalypse

Interviews und öffentliche Auftritte hält Cormac McCarthy, der jetzt für seinen aktuellen Roman „Die Straße“ mit dem wichtigen amerikanischen Pulitzerpreis ausgezeichnet wurde, für „Hurerei“. Über das Leben des Schriftstellers weiß man daher nur wenig. 1933 wird er geboren, er wächst in Tennessee auf, sein Vater ist Anwalt. Ein Studium bricht McCarthy ab. Nach der offiziellen Lesart verdient er sein Geld daraufhin als Automechaniker. Andere behaupten, er schlafe unter Brücken und in Gefängniszellen – genau wie der Held seines späteren Romans „Verlorene“, der eine gutbürgerliche Familie verlässt und am Tennessee River vor die Hunde geht.

Auf jeden Fall schreibt McCarthy. 1965 erscheint sein Debüt „The Orchard Keeper“, drei Jahre später „Draußen im Dunkel“. Der junge Autor wird mit William Faulkner verglichen, bleibt aber ein Geheimtipp. Er reist nach Europa, heiratet eine englische Sängerin und kehrt mit ihr zurück nach Amerika. Sie bekommen ein Kind. McCarthy muss Geld verdienen und verfasst ein Drehbuch. 1976 wird die Ehe geschieden, kurz darauf erscheint „Verlorene“, an dem McCarthy jahrelang gearbeitet hat. Eingeweihte feiern den 600-Seiten-Roman mit seinen zahllosen Anspielungen auf die antike Mythologie als Meisterwerk. Ein Bestseller wird er nicht.

McCarthy zieht nach Texas. Seine nächsten Romane spielen im Grenzland zwischen Mexiko und den USA. „All die schönen Pferde“ wird 1992 sein erster großer Verkaufserfolg, auch in Deutschland. Hollywood verfilmt die Geschichte über Cowboy und Pferdediebe, und McCarthy leistet sich von dem Honorar einen neuen Pick-up.

Der Schriftsteller ist mittlerweile zum dritten Mal verheiratet und lebt in Santa Fe. Er schreibt und er liest: „Bücher werden aus Büchern gemacht“, sagt er. Für seinen Roman „Die Straße“ hat er sich unter anderem in die düsteren Szenarien der Science-Fiction-Paperbacks vertieft. McCarthy beschreibt ein Amerika nach einer nuklearen Katastrophe. Asche regnet vom Himmel, und ein Vater und sein Sohn schleppen sich halbtot über einen menschenleeren Highway, ständig auf der Flucht vor marodierenden Banden. „Die Straße“ ist Cormac McCarthys schwärzestes Buch. Auch die Sprache hat sich verändert. Die flirrende Melancholie William Faulkners ist in diesem amerikanischen Endspiel den zu Eis erstarrten Sätzen Samuel Becketts gewichen.

Mit den Anklängen an das Werk des irischen Dramatikers schließt sich ein Kreis. McCarthy, der als Charles McCarthy getauft wurde, soll bereits früh seinen Vornamen geändert haben, um seinem angeblichen Vorfahren und irischen König Cormac Respekt zu erweisen. KOLJA MENSING