: Der Wille, richtig zu denken und zu leben
VORTRAG Bei Slavoj Zizek ist in letzter Zeit eine Rückkehr zu Hegel zu beobachten. Am Donnerstagabend sprach er in der Volksbühne über die Grenzen des Philosophen
Das Schöne an den Vorträgen Slavoj Zizeks ist das Publikum. So wie die Psychoanalyse groß durch ihre Patienten wie den „kleinen Hans“ oder den „Wolfsmann“ ist, wird Zizek durch sein Publikum groß. Das war auch am vergangenen Donnerstag in der für die Fluchtwege im Brandfall gefährlich überfüllten Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz nicht anders.
Was schriftlich bei Zizek manchmal schwer erträglich oder schlicht unverständlich ist, wird mit dem Blick auf die klugen Gesichter, die sich um ihn versammeln, glasklar. So entschlossen, wie man das heute nur sein kann, spricht aus ihnen der Wille, richtig zu denken und zu leben. Und richtiges Denken war und ist in der Nachfolge Hegels immer möglich. Adornos Spruch vom falschen Leben, in dem es kein richtiges Leben geben könne, ist für Zizek einfach falsch, also schlechtes Denken. Es ist bei Zizek zuletzt eine Rückkehr zu Hegel zu beobachten, die mit jenen Denkbewegungen vergleichbar ist, in deren Folge der Psychoanalytiker Jacques Lacan zurück zu Freud und der Philosoph Louis Althusser zurück zu Marx vordringen wollten.
Für Zizek heißt das erst einmal Hegel-Kritiker wie Adorno und Marx hinter sich zu lassen. Denn mit Hegel beginnt eine neue Art des Philososphierens, die von der „Gleichheit der Geister“ ausgeht, die sie erschaffen will, in dem sich „Aufgeklärte und Unaufgeklärte die Hand reichen“. Hegels Totalität – „das Ganze ist das Wahre“ – birgt ein politisches Programm, das – so Zizek – überhaupt erst den Zugang zur gegenwärtigen Lage möglich macht. Zizek fasst das immer in die Formel, wer vom Kapitalismus reden wolle, könne nicht nur über Singapur sprechen, er müsse auch über den Kongo und seine Kindersoldaten reden.
Womit man aber mitten im Hegel-Problem steckt. Denn Hegel hatte Afrika und Sibirien radikal aus seiner Philosophie ausgeschlossen. Für ihn waren Sibirien und Afrika Weltgegenden, in denen sein Weltgeist nichts zu suchen hatte. An diesem Punkt war Hegels Denken selbst noch nicht hegelianisch. Und das wollten Zizek und sein Freund Frank Ruda in der Volksbühne ändern.
Zizeks Vortrag – „The Limits of Hegel“ – gab sich dabei als Kommentar zu Rudas Buch „Hegels Pöbel“, das an diesem Abend kurz vorgestellt wurde. Der Pöbel ist bei Hegel nicht weit von den Afrikanern und Sibiriern entfernt und steht somit für das Scheitern der Hegel’schen Totalität an sich selbst. Ruda hatte kurz in englischer Sprache in den Gedankengang seiner Studie eingeführt, was ihm den ersten Rüffel von Zizek einbrachte. „Warum sprichst du Englisch, wenn du weißt, dass das Publikum und ich Deutsch verstehen?“, fragte Zizek auf Deutsch, bevor er seinen Vortrag dann in Englisch fortsetzte. Was wie ein freundlicher Witz in gespielter Aufregung erschien, war bei Zizek aber mehr als nur eine lockere Einführung in sein Anliegen.
Englisch, für Zizek die Sprache des Imperialismus, ist in der globalen Hegemonie, die es als Wissenschafts- und Geschäftssprache erreicht hat, ein Indikator für die Vernichtung der Peripherien im Denken. In Englisch entwerfen die großen Weltmächte wie China und die USA die großen Geostrategien der Zukunft und in Englisch wird entschieden, was möglich und was unmöglich ist heutzutage.
In der Bestimmung von möglich und unmöglich im medialen Weltspiegel wird Zizek dann sehr konkret. Möglich ist es zum Beispiel, dass die Töchter eines Formel-1-Impresarios 130 Millionen Euro in einem halben Jahr verpulvern und an sieben Orten gleichzeitig leben. Möglich ist auch, dass man durch Gen-Engineering sein Erbgut verbessert, seine Kinder von einer Leihmutter austragen lässt usw. Unmöglich ist aber in jedem Fall, das nur ein paar Euro mehr für die Krankenversorgung ausgegeben werden. Und das, findet Zizek mit Hegel, ist ein Verbrechen an der Möglichkeit der Chance einer „gleichen Ausbildung aller Kräfte, des Einzelnen sowohl als aller Individuen“. Im Vortrag bleib Zizeks Denken trotz aller Windungen durch Philosophie und Geschichte so immer konkret und pragmatisch orientiert am Anspruch: für alle. CORD RIECHELMANN