: „Zum Teufel mit den Extremisten“
Wie arbeitet eine Filmschule im Irak? Unter so unsicheren Bedingungen, dass der Umzug nach Damaskus unausweichlich wird. Ein Gespräch mit Kassim Abid, dem Mitbegründer und Kodirektor des Independent Film and TV College in Bagdad
KASSIM ABID hat lange in England gelebt, wo er als Kameramann für verschiedene Fernsehsender gearbeitet hat. Er ist Kodirektor und Mitbegründer des Bagdader Independent Film and TV College.
INTERVIEW AMIN FARZANEFAR
taz: Herr Abid, wie kam es zu der Gründung der Filmschule?
Kassim Abid: Nach dem Krieg überlegten meine Kollegin Maysoon Pachachi und ich, wie wir ein neues irakisches Kino aufbauen könnten. All diese Sanktionen und Kriege – der Iran-Irak-Krieg, die beiden Golfkriege – hatten die Filmindustrie zerstört. Und nach den Sanktionen waren die meisten Regisseure mehr mit dem eigenen Überleben beschäftigt als mit dem Kino. Uns erschien es daher richtig, dieses College zu gründen.
Wie stellt sich Ihnen die augenblickliche Situation dar?
Letztes Jahr, während des zweiten Dokumentarfilmkurses, begann eine schwierige Zeit. Nur zwei Tage bevor unser Seminar begann, war der Heilige Schrein der Schiiten in Samarra bombardiert worden, und die Situation in Bagdad war sehr gefährlich, mit einer viertägigen Ausgangssperre. Die Sicherheitskräfte konnten nichts ausrichten, und gerade brach eine völlig neue Form sektiererischer Gewalt aus, die es zuvor nicht gegeben hatte. Man konnte umgebracht werden, wenn man zur falschen Zeit am falschen Ort war – oder mit dem falschen Namen: „Omar“ und „Uthman“ würde dich als Sunni identifizieren, „Ali“ oder „Hussein“ als Schiit. Ich fragte die Studenten, ob wir den Kurs in dieser gefährlichen Situation vertagen sollten. Jeder Einzelne wollte weitermachen. Einer sagte: „Schau, wir würden kaum unser Leben riskieren, wenn wir nicht etwas wirklich Wichtiges von hier mitnehmen würden.“ Sie lernen etwas auf dem Weg zum Filmemacher, also helfen wir ihnen, so gut wir können.
Was ist denn die Motivation für die jungen Iraker, diese Risiken auf sich zu nehmen? Wie sind ihre beruflichen Aussichten und Chancen?
Die meisten kommen nach der Kunstakademie zu uns, wo sie vier Jahre ohne praktische filmische Erfahrung studiert haben. Wenn sie zu uns kommen, muss jeder einen kurzen Dokumentarfilm erstellen. Bei einer Bewerbung können sie dann einen Kurzfilm vorzeigen. Vor kurzem konnten wir drei Auftragsarbeiten für das englischsprachige Programm von al-Dschasira vermitteln. Wenn Absolventen einen Film machen wollen, können sie jederzeit unsere Hilfe und unser Equipment ohne Bezahlung in Anspruch nehmen, und wenn wir einen Film verkaufen, bekommen sie einen großen Teil der Einnahmen für weitere Projekte, so dass eine Perspektive aufkommt, irgendwann von der eigenen Arbeit leben zu können.
Als NGO sind Sie von Stiftungen und Zuwendungen abhängig. Bekommen Sie internationale Unterstützung?
Ja, vor allem von Medien-Hilfsorganisationen, einiges von britischen Handelsorganisationen und vom Erziehungsministerium in London. Außerdem Zuwendungen von Künstlern, Filmemachern, und von Privatpersonen, die nach den Filmvorführungen gerne etwas beitragen möchten. Maysoon Pachachi und ich arbeiten überwiegend ehrenamtlich und schlagen uns so durch. Aber der einzige Weg, der Gewalt zu begegnen, ist, etwas Positives zu unternehmen – das ist besser als zu lamentieren. Ich halte es mit einem chinesischen Sprichwort: „Steck eine Kerze an, anstatt dich über die Dunkelheit zu beklagen.“ Mit jedem Kurs entzünden wir so eine Kerze.
Inwieweit können Sie auf eine vorhandene Filminfrastruktur zurückgreifen?
Nun, nach dem Krieg sind eine ganze Menge staatliche Kino-Einrichtungen niedergebrannt worden, wobei viele Archive und Filme verlorengingen. Eines unserer Anliegen ist die Errichtung einer neuen Video- und DVD-Mediathek. An der Universität gibt es zwar Filmlehrgänge, aber sie machen dort keine Filme. Dann gibt es eine Regierungsorganisation, die „Kino- und Theater-Kooperative“, aber auch sie unternimmt nichts. In Bagdad ist es eben sehr gefährlich, mit einer Kamera unterwegs zu sein: Die US-Soldaten denken, man ist für die Terroristen unterwegs, und die Terroristen halten einen für proamerikanisch. Also lassen wir unsere Studenten ausschließlich an sicheren Orten arbeiten.
Müssen Sie dabei im Geheimen arbeiten?
Nicht direkt. Man kann viele Geschichten erzählen, ohne gleich sein Leben zu riskieren. Man zeigt den Konflikt eben indirekt, was sogar besser sein kann. Man zeigt, wie sich der Konflikt auf einfache Menschen auswirkt, man zeigt den irakischen Alltag.
Sind Sie der Zensur unterworfen, wenn Sie die fertigen Filme vorführen wollen?
Da wir den Schnitt außerhalb des Irak vornehmen, sowieso nicht, aber auch ansonsten gibt es keine Zensur. Unter Saddam brauchte man natürlich auch für jeden Dreh eine Erlaubnis. Jetzt zensiert man sich vor allem selber: Was ist sicher, wo ist die Rote Linie? Wenn du das Regime kritisierst, bekommst du Probleme, und wenn du es gutheißt, bekommst du auch Probleme.
Bekommt man Probleme, wenn man ein Bier trinkt?
So schlimm ist es nun auch wieder nicht. Ich bereite gerade einen Film über meine Familie vor, wo man sieht, wie ich mit meinem Bruder ein Bierchen trinke, das werde ich zeigen. Es gibt Extremisten, aber zum Teufel mit ihnen, sie werden mein Privatleben nicht stoppen! In der Öffentlichkeit mag es ein Problem sein, aber privat kann man im Irak tun und lassen, was man will.
Das Independent Film and TV College in Bagdad bemüht sich seit 2004 um neue Perspektiven auf das Leben im Irak. Die Filmschule ist beitragsfrei und leistet professionelle Ausbildung im Bereich Film- und Fernsehproduktion. Jeweils 20 bis 25 Studenten belegen Kurse von wenigen Wochen Dauer; diese Kurse sind für jeden Iraker zugänglich; ein Frauenanteil von 25 Prozent wird angestrebt. Während der ersten drei Kurse – 2005 und 2005 – wurden vier Filme produziert; darin konzentrieren sich die Bagdader Studenten auf private Geschichten, etwa auf das verzweifelte Bemühen der irakischen Bevölkerung um einen Alltag: „Hiwar“ von Kifaya Saleh erzählt die Geschichte eines bereits 1992 gegründeten Kulturzentrums, „My Name ist Omar“ zeigt den tagtäglichen Kampf eines Taxifahrers um Benzin, Elektrizität und freie Fahrt, „Let the show begin“ dokumentiert die riskante Durchführung des ersten „Internationalen Irakischen Kurzfilmfestival“. Das Videotagebuch „Baghdad Days“ von Hiba Basem will Studentenalltag dokumentieren, findet aber fast zwangsläufig zu Bildern des Kriegs. AMIN FARZANEFAR
Welche Geschichten wollen die Studenten erzählen? Gibt es einen bestimmten Fokus?
Natürlich machen wir vor allem Dokumentarfilme: Die gegenwärtige Zeit muss unbedingt dokumentiert werden, und besser, wir machen das selber als jemand von außerhalb. Es geht darum, den Irak durch irakische Augen zu zeigen. Dabei gibt es keine Grenzen – solange die Sicherheit der Studenten garantiert ist, können sie machen, was sie wollen. Eine Geschichte muss Herz und Hirn der Zuschauer berühren können, wenn das gegeben ist, machen wir den Film.
Und die Zuschauer erreichen Sie ja inzwischen weltweit, vor allem auf Festivals …
„Baghdad Days“ erhielt einen Golden Preis auf dem „Arab Film Festival“ in Rotterdam und einen Silberpreis auf dem „Al-Jazeera International Film Festival“ in Qatar. Letztes Jahr lief er auf dem Amsterdamer IDFA, wo 13 internationale Filmschulen eingeladen wurden, ihre Arbeiten vorzustellen. Darunter war unsere Schule, die gerade erst drei Jahre alt ist, mit dem ersten Dokumentarfilmseminar. Darauf sind wir sehr stolz, und das war eine Motivation, weiterzumachen.
Was haben Sie für die Zukunft geplant?
Im Moment verlegen wir unsere Schule nach Damaskus, weil in Bagdad kein geregelter Betrieb mehr möglich ist. Solange im Irak weder eine gewisse Stabilität noch ausreichende Sicherheit gewährleistet sind, müssen wir uns vorübergehend auslagern; Die Miete für die Räumlichkeiten in Baghdad bezahlen wir bis auf weiteres. Im Moment holen wir die Studenten bereits für den Schnitt nach Damaskus, damit sie unter stabilen Bedingungen nachdenken, arbeiten und sich ausruhen können. Und dann natürlich aus Gründen der Sicherheit. In einigen Monaten beenden wir fünf neue Filme, für September und Oktober planen wir weitere Kurse, aber diesmal nicht innerhalb des Irak.