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Archiv-Artikel

Erhöhte Leberwerte

GIFT Schafleber ist seit Jahren viel zu stark mit Dioxin belastet. Trotzdem darf sie weiter verkauft werden

Gefährliche Dioxine

■  Depot: Wer großen Mengen Dioxine zu sich nimmt, leidet häufig unter lang anhaltenden entzündlichen Hautveränderungen. Da sich Dioxine nur sehr langsam abbauen, können sich auch kleine Mengen über mehrere Jahre im Körperfett zu potenziell gefährlichen Dosen summieren.

 Folgen: Einer geringen Dioxinbelastung über das Essen ist jeder ausgesetzt. Die gesammelten Dioxine können zum Beispiel die Fortpflanzungsfähigkeit schädigen. Manche dieser Stoffe gelten als krebserregend.

AUS BERLIN JOST MAURIN

Lammleber? „Haben wir“, sagt der türkischstämmige Schlachter eines Berliner Lebensmittelgeschäfts. Er zeigt auf die braunroten Fleischstücke ganz links in der surrenden Kühltheke. Hauptsächlich Türken kaufen Lammleber, sagt der Metzger. „Du kannst das mit Zwiebeln braten. Ist lecker.“ Lecker vielleicht, aber hat er nicht davon gehört, dass die Behörden vor Schafleber warnen – wegen extrem häufiger und unzulässig hoher Funde des Gifts Dioxin? „Nein, habe ich nicht“, antwortet er.

Dabei ist Schafleber mit hoher Wahrscheinlichkeit verseucht. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) riet schon im April 2009 auf seiner Internetseite klar davon ab, überhaupt noch Schafleber zu essen. In 94 Prozent von 140 Leberproben aus sechs Bundesländern sei mehr des Gifts enthalten als von der EU erlaubt. Die Belastung war dem Gutachten zufolge „in den meisten Proben sehr hoch“ – teilweise 42-mal höher als der gesetzliche Grenzwert.

Trotzdem verkaufen viele Läden immer noch Schafleber, wie Recherchen der taz in türkischen Supermärkten in Berlin, Hannover und Frankfurt am Main ergeben haben – rund zwei Jahre nach der Warnung des BfR.

Thilo Bode, Geschäftsführer der Verbraucherorganisation Foodwatch, hält das für einen Skandal. Er wirft den Behörden vor, untätig zu sein. Der repräsentativen Nationalen Verzehrstudie der Bundesregierung zufolge essen in Deutschland nur rund 750.000 Menschen mindestens einmal pro Monat Schafsleber – die meisten sind türkischer Abstammung. Deshalb sagt Bode: Immer wenn es um Minderheiten gehe, erregten die Giftbelastungen anders als die Dioxinfunde in Schweinefleisch und Hühnereiern zur Jahreswende nur geringes Medieninteresse. „Es fehlt der öffentliche Druck, damit die Behörden handeln. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit gilt aber auch für Minderheiten.“ Foodwatch fordert, zum Beispiel Dioxintests vorzuschreiben – in der Praxis käme das einem Verbot gleich, weil die Tests mehr kosten als die Leber.

Aber statt Schafleber nach dem Weckruf des BfR sofort zu verbieten, ließ das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) den Fall nochmals weitere eineinhalb Jahre untersuchen. Ergebnis: Diesmal lagen rund 70 Prozent der Proben über den Grenzwerten.

Auch diese Untersuchung klärte nicht, wie die Dioxine in die Tiere gelangten. Sicher ist nur, dass die Chemikalien hauptsächlich bei der Metallproduktion oder in Müllverbrennungsanlagen entstehen und in die Atmosphäre entweichen. Dann kann sich dioxinhaltiger Staub im Boden und zum Beispiel auf Gras ablagern. Wenn Tiere das fressen, nehmen sie das Gift zu sich.

Immerhin forderten die zuständigen Beamten der Länder im November vom Bund, per Verordnung den Verkauf von Schafleber aus Deutschland zu verbieten, wie eine Sprecherin der Bremer Gesundheitssenatorin Ingelore Rosenkötter (SPD) berichtet. Doch diese Forderung hat der Bund bis heute – sechs Monate später – nicht erfüllt.

„Es fehlt der öffentliche Druck, damit die Behörden handeln“

THILO BODE, FOODWATCH

Stattdessen schiebt der Bund die Verantwortung auf die Länder. Die müssten die Dioxingrenzwerte durchsetzen, sagt ein Sprecher von Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) auf Anfrage der taz. Dabei ermächtigt das Lebens- und Futtermittelgesetzbuch eindeutig den Bund, „zur Abwehr einer Gefahr für die menschliche Gesundheit“ Lebensmittel zu verbieten.

Das Bundeslebensmittelamt BVL weist ebenfalls den Vorwurf der Schlamperei zurück. Zwar hätten die Beamten eineinhalb Jahre nur für eine weitere Analyse der Dioxinfunde gebraucht. Aber normalerweise seien für solche Berichte zur Lebensmittelsicherheit „zirka zwei Jahre“ üblich.

Auch wenn die Behörden in anderen Fleischprodukten hohe Dioxinmengen finden, schützen sie die Verbraucher nicht effizient genug. Oft ist Leber betroffen, weil dieses Organ wegen seiner Entgiftungsfunktion besonders viele Schadstoffe sammelt. Das gemeinsame Landeslabor von Berlin und Brandenburg zum Beispiel hat von April bis Dezember 2010 nach eigenen Angaben 28 bis 98 Pikogramm Dioxin in jeweils einem Gramm Fett von Wildschweinlebern gefunden. In Rehleber waren es 23 bis 101,4 Pikogramm. Dabei erlaubt eine EU-Verordnung in diesem Organ etwa von Schweinen und Rindern nur 6 Pikogramm.

Trotzdem haben die Berliner und Brandenburger Behörden noch nicht einmal offiziell davor gewarnt, Wildleber zu essen. „Es gibt keine Grenzwerte für Wildfleisch“, begründet das eine Sprecherin des Brandenburger Gesundheitsministeriums. „Die Jäger wurden aber informiert.“ Allerdings zunächst nicht die Verbraucher. Erst nach der Anfrage der taz stellte das Landeslabor zumindest die Messergebnisse auf seine Internetseite – also auf eine Seite, die kaum jemand kennt. Wie bei der Schafleber lassen die Behörden die meisten Verbraucher im Unklaren darüber, dass ihre Lebensmittel Gifte in hohen Dosen enthalten.