Herrlich, diese warmen Brötchen

ÖKONOMIE Gibt es die reinigenden Kräfte? Mit dem Reader „Der Wert des Marktes“ dokumentieren die Philosophen Lisa Herzog und Axel Honneth einen alten Diskurs

Die beiden Autoren zeigen mit ihrer Textsammlung, dass die Dichotomie „guter“ versus „böser“ Markt unterkomplex ist und dass hinter jeder Äußerung eines Ökonomen stets eine Morallehre steckt

VON ROBERT MISIK

In den vergangenen Jahren ist ja allenthalben von einer „Moralisierung der Märkte“ die Rede: die Vorstellung, man könne durch bloßes Einkaufen Gutes tun, sofern man nur Fair-Trade-Produkte kauft oder Eier von glücklichen Hühnern. Doch die Formel übersieht, dass schon seit jeher die Rhetorik von Märkten stark moralisiert ist.

Es beginnt bei den Vorstellungsreihen, dass derjenige, der auf Märkten seinem individuellen, egoistischen Eigennutz folgt, ohne es zu wollen ein tugendhaftes Resultat herbeiführt. Das ist ja schließlich das Basispostulat des Marktes als Idee, beginnend mit der berühmten allegorischen Bienenfabel Mandevilles aus dem frühen 18. Jahrhundert. Später dann zeigte Adam Smith, dass wir nicht der altruistischen Hilfsbereitschaft des Bäckers verdanken, dass wir morgens ofenwarme Brötchen erhalten, sondern dessen Gewinnstreben.

Es sind Texte über den „Wert des Marktes“ aus drei Jahrhunderten, die Lisa Herzog und Axel Honneth in einen ziegeldicken Reader gesammelt haben. Alle sind versammelt: Mandeville, Smith, die Nobelpreisträger Friedrich August von Hayek und Milton Friedman, Karl Marx und Rosa Luxemburg, Karl Polanyi und der zeitgenössische Linksradikale Michael Albert, Amartya Sen, Samuel Bowles und viele mehr. Ein ökonomisch-philosophischer Diskurs-Reader.

Bleiben wir bei den Wertbegründungen der Pro-Markt-Fraktion. Was sind deren Kernpostulate, abseits der erwähnten Theorie, dass auf Märkten private Laster in allgemeinen Nutzen umschlagen? Erstens, natürlich: Märkte führen zu optimalen ökonomischen Ergebnissen. Zweitens: Märkte sind eine demokratische Veranstaltung. Jeder folgt schließlich seinen persönlichen Präferenzen. Märkte seien drittens auch inhärent „gerecht“, nicht weil sie zu einer Gleichverteilung führen, aber weil die Ungleichverteilung durch einen subjektlosen Mechanismus herbeigeführt wird.

Kritik des Mechanismus

Neben der ökonomischen Kritik gab es konkurrierend von Beginn an die moralische Kritik am Marktmechanismus. Er reduziere alles auf die nackte, bare Zahlung, verdingliche alles und jeden. Aber der Markt funktioniere auch ganz anders, als es sich in den schönen Fabeln der Marktadoranten darstelle.

Die Marktwirtschaft ist eine Machtwirtschaft. Es wird so getan, als ob „der Begriff ‚Markt‘ etwas so Offensichtliches beschreiben würde wie der Begriff ‚Hund‘. Aber das tut er nicht“ (Samuel Bowles). Die Bewertungen, die Märkte „vornehmen“, haben auch nichts mit gesellschaftlichem Nutzen zu tun. Auf Märkten „bewertet man die Leistung eines Schönheitschirurgen, der die Nasen von Filmstars umformt, höher als die eines Familienarztes, der armen Bauernkindern das Leben rettet“ (Michael Albert).

Die Markttheorie arbeitet mit Hypothesen, an die sie selbst nicht glaubt: Etwa mit der Hypothese vom Homo oeconomicus, also der Vorstellung, jeder würde immer nur seinem Eigennutz folgen und seine reine materielle Wohlfahrt maximieren wollen. Jeder weiß, dass dieser Homo oeconomicus in freier Wildbahn nicht vorkommt, oder allenfalls unter koksenden Wall-Street-Bankern und neoliberalen Kolumnisten. „Der rein ökonomische Mensch ist in der Tat einem gesellschaftlichen Trottel sehr ähnlich“ (Amartya Sen).

Märkte funktionieren, so sie denn funktionieren, nur mit marktgängigen Produkten. Was sich aber nicht eignet, am Markt gehandelt zu werden, verkümmert auf Märkten. Märkte montieren uns um. Der selbstsüchtige Egoist, den die Marktidee unterstellt, wird, wo er denn existiert, von verallgemeinerten Wettbewerbsmärkten erst produziert. So hat „die Art und Weise, wie wir unsere Austauschbeziehungen regeln […] Einfluss darauf, was für Menschen wir werden“, formuliert der Ökonom Sam Bowles. „Indem wir lernen, in so einer Umgebung zu funktionieren, werden wir zu jemandem, der wir unter anderen Umständen nicht geworden wären.“

Eine Textsammlung, die zeigt, dass die Dichotomie „guter“ versus „böser“ Markt unterkomplex ist und dass hinter jeder Äußerung eines Ökonomen stets eine Morallehre steckt.

■  Lisa Herzog/Axel Honneth: „Der Wert des Marktes. Ein ökonomisch-philosophischer Diskurs vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart“. Suhrkamp, Berlin 2014, 670 Seiten, 25 Euro