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Archiv-Artikel

Mord in Nagasaki

Populärer Bürgermeister der japanischen Stadt erschossen. Die Polizei verhaftet einen Verdächtigen. Nun wird über die Motive spekuliert

Ito Itcho war eine weltbekannte Persönlichkeit und Atomwaffengegner

VON GEORG BLUME UND CHIKAKO YAMAMOTO

Sie verstehen sich als die symbolischen Vertreter der Atomopfer in aller Welt: die Bürgermeister der japanischen Städte Hiroschima und Nagasaki, auf die im Zweiten Weltkrieg die ersten Atombomben fielen und hunderttausende von Opfern forderten. Einer von ihnen, Itcho Ito, der seit 1995 Nagasaki regierte, wurde am Dienstagabend auf offener Straße von dem Yakuza-Mitglied Tetsuya Shiroo mit zwei Kugeln ermordet.

Die Polizei vermutet persönliche Motive für das Attentat. Doch der Schock in Japan sitzt tief. Bereits vor 17 Jahren wurde in Nagasaki auf den damaligen Bürgermeister der Stadt, Hitoshi Motoshima, ein lebensgefährliches Attentat verübt. Daran denken nun viele Japaner zurück. Motoshima wurde damals von einem Rechtsextremen aufgrund seiner öffentlichen Kritik an Kriegskaiser Hirohito angegriffen.

Rechtsextreme und Yakuza unterhalten in Japan oft gute Beziehungen. Auch deshalb hat der Mord an Ito einen politischen Beigeschmack. „Ich empfinde Wut. Die Demokratie wird zerstört, wenn Gewalt und Terror erlaubt sind“, reagierte der Tokioter Oppositionsführer Ichiro Ozawa, Chef der Demokratischen Partei, auf die Tat. Regierungschef Shinzo Abe wollte sich dagegen auf die politischen Dimension des Falls nicht einlassen: „Ich hoffe, die Behörden finden die Wahrheit heraus“, lautete sein kurzer Kommentar.

Ito Itcho war eine weltbekannte Persönlichkeit. Schon 1995, kurz nach seiner Wahl zum Nachfolger Motoshimas, trat er vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag auf, um für die Illegalität jeglichen Atombombeneinsatzes zu plädieren. In seiner gesamten Amtszeit kooperierte Ito eng mit der Abrüstungsorganisation der Vereinten Nationen für eine internationale Ächtung von Atombomben. In Japan genoss er weit über seine Stadt hinaus hohes Ansehen.

Es mag dieser einzigartige moralische Status gewesen sein, den die Bürgermeister von Nagasaki und Hiroschima in Japan seit dem Krieg traditionell genießen, der den Täter besonders provozierte. Tetsuya Shiroo hatte sich schon 1989 in die Debatte um die Kaiserkritik von Itos Vorgänger Motoshima eingemischt, indem er vom damaligen Bürgermeister 10 Millionen Yen für ein Foto verlangte, dass Motoshima angeblich belastete. Das Foto tauchte später nie auf.

Shiroo war damals und ist bis heute ein bekanntes Mitglied der größten japanischen Mafia-Organisation Yamaguchi-gumi, die nach Polizeiangaben 41.000 Mitglieder zählt. Japans Mafia, die Yakuza, betreibt neben illegalen auch legale Geschäfte; die Polizei versucht ihre Aktivitäten in der Regel nicht auszurotten, sondern einzugrenzen. So kann einer wie Shiroo, der viel im Baugeschäft tätig war, ohne Verfolgung überleben. 2002 hatte Shiroo dann einen Autounfall, den er auf ein Schlagloch in einer Straße zurückführte. Er beschwerte sich bei der Stadtverwaltung Nagasakis über die nicht reparierte Straße und verlangte Schadenersatz für sein Auto. Im Laufe der Jahre reichte er in dieser Sache 50 Beschwerden ein. „Shiroo war sehr unzufrieden mit der Stadtverwaltung und immer noch gekränkt wegen seines Autounfalls“, sagte gestern ein Rechtsanwalt, der den Täter kannte.

Gut möglich also, dass die Polizei Recht behält und der individuelle Ärger eines Kleinkriminellen den Mord an Ito erklärt. Gut möglich aber auch, dass Shiroo aus einem Milieu heraus handelte, dem Japans einst tonangebende Pazifisten immer zuwider waren und das sich jetzt im Aufwind dünkt. Einflussreiche Politiker, die Regierungschef Abe nahe stehen, befürworten heute die atomare Aufrüstung Japans. Für sie war Ito ein einflussreicher politischer Gegner.