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Archiv-Artikel

Staat will pieksen

Die Landesregierung prüft Zwangsimpfungen gegen Masernepidemie. Ärzte fordern, Kindergärten und Schulen besser zu kontrollieren und über die gefährliche Viruskrankheit aufzuklären

VON DIRK ECKERT

Im Kampf gegen Masern schließt die Landesregierung Pflichtimpfungen nicht mehr aus. Angesichts neuer Masernfälle rät das NRW-Gesundheitsministerium den Eltern, ihre Kinder impfen zu lassen. Sollte die Quote in den nächsten anderthalb Jahren nicht steigen, muss laut Staatssekretär Stefan Winter über eine Impfpflicht nachgedacht werden.

Deutschlandweit sind zur Zeit 93 Fälle von Masern gemeldet, in Nordrhein-Westfalen sind es 54, die Hälfte davon im Raum Düsseldorf. Nach Ansicht von Ärzten und Gesundheitsministerium ist das eine Folge von Impfmüdigkeit: Laut Ministerium bekommen derzeit rund 25 Prozent der Kinder in Nordrhein-Westfalen keinen ausreichenden Impfschutz gegen die Infektionskrankheit. Die Weltgesundheitsorganisation WHO fordert eine Impfquote von 95 Prozent, um die Masern auszurotten.

Erst vergangenes Jahr hatte eine große Masernepidemie NRW erfasst. Damals mussten von 1.587 Erkrankten 236, also rund 15 Prozent, im Krankenhaus behandelt werden. Dutzende Patienten hatten eine Mittelohr- oder Lungenentzündung. Und in Duisburg sind in diesem Jahr zwei Kinder an Folgeerkrankungen von Masern gestorben – für das Robert-Koch-Institut ein klarer Beleg dafür, dass Masern keine ungefährliche Kinderkrankheit sind. Eine Impfung schütze in 95 Prozent der Fälle vor den in Deutschland gängigen Maserntypen, sagt Sprecherin Susanne Glasmacher.

Zwangsimpfen lehnt das Institut aber ab. Das sei nicht zeitgemäß, sagt Glasmacher. „Mit vernünftiger Aufklärung können die notwendigen Impfraten erreicht werden.“ Staatliche Eingriffe in Freiheit und Unversehrtheit der Person könnten juristisch schwierig werden, vermutet man auch im NRW-Gesundheitsministerium. Eine Impfpflicht sei aber ohnehin zunächst Sache des Bundes, sagt Sprecher Ulrich Lensing. „Die Fachleute suchen auch nach Alternativen.“

Kinderärzte fordern schon länger Regelungen, wie sie zum Beispiel auch in den USA praktiziert werden: Ohne Impfschutz dürfen Kinder dort nicht in staatliche Kindergärten oder Schulen. Wichtiger als Grundsatzdiskussionen über Impfschutz sei es aber, die Kontrollen zu verbessern und Anreize fürs Impfen zu schaffen, sagt Martin Terhardt, stellvertretender NRW-Landesvorsitzender des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, der die meisten dieser Mediziner in Deutschland vertritt. „Jugendliche sind noch seltener geimpft als Kinder“, warnt er.

Beim Eintritt in Kindergarten, Grundschule oder weiterführende Schule müsse grundsätzlich der Impfstatus erhoben werden, fordert Terhardt. Der öffentliche Gesundheitsdienst müsse außerdem an den Schulen Impfungen anbieten. Grundsätzliche Gegner seien sicher nicht zu überzeugen, sagt Terhardt. Aber selbst wenn nicht alle Bürger geimpft seien, könnten die Masern ausgerottet werden.