: Bewegung in der Szene
Die neue Gesprächsbereitschaft zwischen ehemaligen RAF-Anhängern und RAF-Opfern zeigt einen Atmosphärenwechsel in der Debatte. Kann das Kapitel „Deutscher Herbst“ bald geschlossen werden?
VON JAN FEDDERSEN
Härte, kalte oder jammernde Rechthaberei, das sichere Wissen um das, was wer sagen oder verschweigen wird – all diese Zutaten zu jener Diskussion um Gnade oder Reue, die die RAF-Debatte ausmacht, scheinen unwichtig geworden. Und zwar mit Michael Bubacks gestern in der Süddeutschen Zeitung formulierten Bitte um „Gnade für Christian Klar“. Der Sohn des am 7. April 1977 durch ein Kommando der RAF ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback setzt sich dafür ein, dass der noch inhaftierte RAF-Terrorist Christian Klar vorzeitig freigelassen wird.
Tatsächlich ist das eine „Sensation“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung), denn Michael Buback hatte noch kürzlich, auch in der taz, eine Begnadigung Klars abgelehnt. Zunächst wollte er wissen können, wer genau seinen Vater und zwei seiner Mitarbeiter ermordet habe.
Neue Informationslage
Inzwischen hat sich ihm ein frischer Kenntnisstand eröffnet. Ein Informant aus dem einstigen RAF-Spektrum habe ihm erklärt, Christian Klar sei am Attentat gegen seinen Vater nicht tötend beteiligt gewesen. Buback, Chemieprofessor in Göttingen, erklärte nun, dann müsse Klar nicht länger inhaftiert bleiben als andere RAF-Mitglieder, etwa Brigitte Mohnhaupt.
Nun war es nicht so, dass Buback einfach so zu kontaktieren sei – vermittelt hat ihm das Gespräch der frühere RAF-Ermittler, Generalbundesanwalt Klaus Pflieger. In diesem Gespräch, von dem nicht bekannt ist, unter welchen Umständen und wo es geführt wurde, kam ans Licht, so führte Buback aus, dass Klar zwar an der Ermordung des Jürgen Ponto beteiligt gewesen sei, aber weil dieses Attentat am 30. Juli 1977 im Sinne der Planung scheiterte – der Vorstandssprecher der Dresdner Bank sollte entführt, zunächst nicht umgebracht werden –, habe Klar als unsicherer Kantonist gegolten und sei deshalb nicht mit der Logistik des Kidnappings von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer betraut worden.
Abgesehen davon, dass Bubacks Wort bei Bundespräsident Horst Köhler Gewicht haben wird in der Frage, ob Klar Gnade widerfährt und in Bälde aus dem Gefängnis entlassen werden kann, ist dieser Meinungswechsel auch deshalb sensationell, weil er die Seriosität bürgerlich-liberalen Denkens im Vergleich mit der totalitären Mentalität der RAF-Milieus und ihrer linksradikalen Verwandten unter Beweis stellt. Obendrein aber eröffnet diese Volte eine Chance für einen echten Abschluss jenes Kapitels, das Deutscher Herbst genannt wird: Die Angehörigen der Opfer möchten wissen, wer für welche Tat verantwortlich war – und die früheren Täter wollten nicht antworten.
So war es bislang. Bubacks Informant aber, das werden die entsprechenden Stellen der Bundesanwaltschaft wie des Justizministeriums schon überprüft haben, muss ein Vögelchen aus dem RAF-Milieu sein, das sich an den Comment des Zwitscherverbots nicht mehr halten mochte. Vielleicht aus dem Grund, dass einer nicht mehr mit ansehen mochte, dass einer im Knast sitzt für ein Delikt, das er nicht begangen hat – nichts ist offiziell, manches wird nur kolportiert.
Sicher aber ist: Es kommt Bewegung in die Szene. Möglicherweise wird durch den Hinweis, dass Klar ein – aus Skrupelhaftigkeit?, aus handwerklichem Ungeschick? – dilettierender Terrorist war, ermittelbarer, wer in diesem soziophobischen System namens RAF für welche Taten verantwortlich ist. Wer schoss, wer weigerte sich, den Abzug zu drücken, wer war feige, wer glaubte, mutig sein zu müssen?
Menschen, nicht Masken
Mehr von diesen Fragmenten an gruppendynamischem Inhalt würde die RAF-Mitglieder auch kenntlicher machen: Aus monströs innerlich wie äußerlich bewaffneten Funktionären eines allenfalls imaginierten antiimperialistischen Kampfes, aus Kampfmasken ohne Individualität würden Menschen, deren Schuld und Verantwortung persönlich ermessbar wäre. Und das könnte die schlimmste Strafe für das Kollektiv sein, für den „Zusammenhang“ namens RAF (O-Ton Klar), wenn es sich jetzt in seine individuellen Teile auflöste: Man wäre Teil eines gesellschaftlichen Gesprächs, nicht mehr eine luftdicht verschlossene Zelle, deren interner, wie aus einer Fantasie Pol Pots entworfener Kontrollterror nun mit der echten Welt in Kontakt käme.
Moorleichen, die nach Jahren, Jahrzehnten, Jahrhunderten gefunden werden, weisen eine Hautfarbe auf, die sie nicht tot scheinen lässt – sondern rosig, frisch. Man glaubt, ihre Zeit sei stehen geblieben. Kommen diese Leichname mit Luft in Berührung, verwesen sie umso schneller: Der Spuk mit dem Konstrukt namens Deutscher Herbst hätte endlich einen Platz auf dem Friedhof der hiesigen Geschichtswissenschaft zu finden. Die Leiche, die dort zu begraben wäre, hätte einen Stein verdient, darauf die Inschrift: „Es hat sich nicht gelohnt. Für nichts und niemanden.“