Die Speisen der Zukunft

Essen ist politisch – das „Stadt Land Food“-Festival und der „Wir haben es satt!“-Kongress suchen nach nachhaltigem Genuss und Perspektiven jenseits des Tellerrands

2. bis 5. Oktober Der erste „Wir haben es satt!“-Kongress wird ein Ort der Begegnung für die Bewegung – mit Vorträgen, Workshops und Diskussionsrunden. Am zeitgleich stattfindenden Stadt-Land-Food-Festival beteiligen sich neben der Markthalle Neun fast 40 Orte in der Umgebung. wir-haben-es-satt.de stadtlandfood.com/kongress

Im Kochbuch „Küche der Armen“ von Huguette Couffignal gibt es ein Rezept zum Zubereiten von Elefanten. Und im Buch „Die Rote Köchin“ geht es unter anderem um die Rezepte einer Spartakistin, die als Köchin im Bauhaus Dessau arbeitete. Der Verlag schreibt über Hannah R.: „Keine gewaltsame Gefangenenbefreiung, kein Überfall, den sie nicht mitmacht. Und keine kulinarische Sensation – marinierte Gänseleber, die sie auslässt.“

Nach dem Krieg ermöglichte die industrialisierte Landwirtschaft das Schnitzel für jeden – täglich. Aber nun kommt dieser „Fortschritt“ an sein Ende, weil der ökologische Preis dafür zu hoch ist. Vegetarier, Umweltschützer, Tierbefreier und Biologen machen sich für eine „kleinbäuerliche Produktion“ stark, von der Marx und Engels überzeugt waren, sie würde unausweichlich Agrarkonzernen weichen. Das Bündnis „Wir haben es satt!“ fordert dessen ungeachtet eine „alimentarische Souveränität“ zurück. In der Interviewsammlung „Kreuzberg kocht“ findet man u. a. ein Rezept der „Freien Schule“ für eine „Curry-Linsen-Suppe“, die Hülsenfrüchte liefern Gärtner aus dem Umland. Im „Prinzessinnengarten“ am Moritzplatz („Wir lernen vom Gemüse“) wurde gerade ein Gericht mit der „schwäbischen Alblinse“ vorgestellt.

In der Frankfurter Kunstschule „Städel“ wird Kochen als Kunst gelehrt, wobei man den Anspruch hat, den ganzen Tierkörper zu nutzen. „Eine solche Küche ist historisch nicht auf einen Mangel zurückzuführen, sondern auf Verantwortung gegenüber dem getöteten Tier“, meint der Lehrbeauftragte Jochen Fey, und fügt hinzu: „Gerade das Tier dass man essen will, muss man lieben: Nur wenn man das Tier – lebend – geliebt hat, gelingt es einem, es bei der Zubereitung wieder auferstehen zu lassen. Dabei entscheidet sich, ob man ein Koch oder ein Mörder ist.“ Einmal wollte man dort für ein Kunstessen Hoden vom Schlachthof erwerben.

„Stierhoden sind dem Kalbsbries im Geschmack sehr ähnlich, nur etwas fester im Fleisch. Das macht sie zu einem der schönsten und kostbarsten Fleischarten.“ Da die Hoden aber inzwischen laut „Tierkörperbeseitigungsgesetz“ als „Abfall“ gelten – deswegen nicht vom Veterinär „beschaut“ werden, und also nicht abgegeben werden dürfen, war es den Städeldozenten selbst auf dem Dienstweg bis hoch ins Wiesbadener Ministerium nicht möglich, an Hoden heranzukommen. Einen ähnlichen Kampf focht der Allgäuer Rinderzüchter Ernst H. Maier aus. Ihm ging es darum, seinen Tieren die Qualen des Transports zum Schlachthof und das fließbandmäßige Getötetwerden dort zu ersparen, weswegen er sie auf ihrer Ganzjahresweide erschießen wollte – und das auch gerichtlich durchsetzte – nach 13 Jahren. Derzeit kämpft Maier dagegen, seinen 270 Rindern Ohrmarken verpassen zu müssen, er injiziert ihnen stattdessen Mikrochips unter die Haut.

Kürzlich gelang es holländischen Forschern, künstliches Rindfleisch herzustellen – indem sie Zellen aus dem Muskelgewebe einer Kuh isolierten und sie in einer Nährlösung zu kleinen Muskelstreifen heranwachsen ließen. Diese schichteten sie übereinander, würzten sie und brieten sie zu einer Frikadelle. Deren Entwicklung kostete 250.000 Euro, aber die Forscher meinen, dass die Konsumenten das künstlich hergestellte Fleisch, wenn es billiger wird, annehmen werden – aus ökologischen Gründen. Eine industrielle Herstellung von Laborfleisch würde im Vergleich zu herkömmlichem europäischen Fleisch 99 Prozent weniger Land und je nach Tierart 7 bis 45 Prozent weniger Energie sowie 82 bis 96 Prozent weniger Wasser verbrauchen, die Einsparung von Treibhausgasen läge zwischen 78 und 96 Prozent.

Ganz anders hat der junge Amerikaner Rob Rhinehart das Ernährungsproblem gelöst: Er hat eine Flüssigkeit namens „Soylent“ entwickelt, die alles enthält, was der Körper braucht. Der optimistische Neuerer will sich damit von dem Zwang, essen zu müssen, befreien. Essen soll bloß noch „reine Kunst“ sein. Täglich gehen schon 10.000 Bestellungen bei ihm ein. Der Name seines „food substitute“ stammt aus dem Sciencefiction-Film „Soylent Green“ – ein Vollwertkeks, der aus Menschenfleisch besteht, für das in Sterbehilfebetrieben die alten Leute herhalten müssen. Auch die auf „regionale Wirtschaftskreisläufe“ Setzenden sind optimistisch: Man kann nicht 4 Milliarden Menschen, die noch in kleinbäuerlichen Familienbetrieben leben und arbeiten, in die Städte vertreiben und durch Agrarfabriken, Massentierhaltung und Monokulturen ersetzen.

HELMUT HÖGE