: Maschinentrauer
Derrick May hat vor zwanzig Jahren in Detroit Techno erfunden. Heute Abend spielt der legendäre Produzent und DJ im Weekend
VON TOBIAS RAPP
Eigentlich sollte Derrick May ja zur Eröffnung des neuen Tresor spielen. Eine gute Kombination: Einer der drei Erfinder des Detroiter Techno gibt sich in der neuen Räumlichkeit jenes Clubs die Ehre, der wichtiger für die Durchsetzung dieser Sounds in Europa war als jeder andere Laden. Dem hat das Ordnungsamt nun einen Riegel vorgeschoben: Es dauert noch eine Weile, bis der Tresor öffnen darf. Dass die Veranstalter die ganze Sause nun ins schicke Weekend am Alexanderplatz verlegt haben, sieht nur auf den ersten Blick merkwürdig aus. Tatsächlich ist die Konnotation von Dreck, Underground und Militanz eine Konnotation, die dieser Musik hinzugefügt wurde, als May sich aus dem aktiven Geschäft längst zurückgezogen hatte: Als Juan Atkins, Kevin Saunderson und er in den frühen Achtzigerjahren ihre ersten Partys organisierten, waren sie vor allem an europäischer Mode und Pop interessierte Styler, denen nichts ferner lag als die Straße.
Derrick May ist der Intellektuelle der drei, der Konzeptkünstler, ein ganz erstaunlicher Produzent. Zum einen weil sein Oeuvre so überaus schmal ist: Im Wesentlichen passt alles auf die zwei CDs, die in den späten Neunzigern einmal unter dem Titel „The Innovator“ herauskamen. Zum anderen, weil sein Werk wie ein funkelnder und homogener Block vor einem liegt. Von 1987 bis 1993 sind die Stücke erschienen, nichts davor, nichts danach, und alles variiert ein Konzept, das schon fertig zu sein scheint, bevor May mit „Nude Photo“ als Rhythim Is Rhythim seine erste Platte veröffentlicht. Da sind als wichtigstes Element die Streicher (sein berühmtestes Stück heißt auch „Strings Of Life“). Sie bilden den Gefühlskern eines jeden Derrick May-Tracks: In den breiten Schlieren, die sie ziehen, fühlen sie sich immer wieder aufs Neue an, als wären sie die Begleitung melancholischer Robotertagträume. Sie sind so kalt und maschinell wie anrührend und seelenvoll. Analoge und perkussiv gesetzte Synthieklänge bilden das Fundament, ein gerader Vierviertelbeat hält das Ganze zusammen.
Selbst in ihren euphorischen Momenten bleiben diese Stücke einer Traurigkeit verhaftet, die sie nie abschütteln. Es gehört nicht viel dazu, May selbst dahinter zu vermuten – auch er ist eine tragische Figur, wenn man so will. Der große Erfolg, der sich für seine beiden Mitstreiter Atkins und Saunderson irgendwann einstellte, blieb ihm versagt. Trotzdem sind es immer wieder seine Produktionen, auf die sich die europäischen Detroit-Puristen berufen – auch das aktuelle Revival rund um das Amsterdamer Label Clone hält sich eng an seine Vorgaben.
Es gibt viele Theorien, warum Derrick May aufgehört hat, Musik zu veröffentlichen – und meistens kommen sie von ihm selbst. Mal erzählt er, der ausufernde Drogenkonsum der europäischen Rave- und Clubszene habe ihn abgestoßen, er wolle keine Musik in einen sozialen Zusammenhang entlassen, wo sie lediglich Begleitprogramm zum Rausch ist. Ein anderes Mal sagt er, er habe den strukturellen Rassismus der amerikanischen Musikindustrie nicht mehr ertragen, die einem schwarzen Künstler nicht den gleichen Freiheiten einräume wie einem weißen und sich deshalb immer geweigert habe, dem Afrofuturismus von Techno zum kommerziellen Durchbruch zu verhelfen.
Das wird alles seine Richtigkeit haben. Am wahrscheinlichsten ist trotzdem etwas ganz anderes: In einem der wirklich zahllosen Interviews deutet Derrick May an, dass er schlicht und einfach gesagt habe, was er zu sagen hatte, und keinen Grund sehe, sich zu wiederholen.
Heute Abend: die Transmat/Cadenza-Nacht im Weekend. Mit Derrick May, Luciano, Thomas Melchior u. v. a. Alexanderplatz 5, ab 24 Uhr