Viele, viele Freunde sollt ihr sein

Eine Stimme wie keine andere: Bislang war Leslie Feist vornehmlich die graue Eminenz einer prosperierenden kanadischen Independent-Szene. Nun begibt sie sich mit ihrem neuen Album „The Reminder“ endgültig auf den Weg zum großen Erfolg, auch wenn der ganz und gar nicht geplant war

VON HEIKO HOFFMANN

Leslie Feist sitzt in einem Berliner Apartmenthotel und freut sich. Über den Tee, der ihr gerade serviert wird. Über einen der ersten Frühlingstage. Und darauf, dass bald ihre Tour losgehen wird, für die sorgfältig geeignete Theater ausgesucht wurden. Die Arbeit an ihrem neuen, strahlenden Album „The Reminder“ ist seit einigen Wochen abgeschlossen. Und eigentlich ist jetzt die Zeit angebrochen, die Musiker am wenigsten leiden können. Weil sie Interviews geben, Videos produzieren und für Fotos posieren müssen, Dinge also, die mit dem Musizieren erst mal nichts zu tun haben. „Gestern war ich bei einer Radiostation eingeladen und sie baten mich, ein neues Stück auf der Gitarre zu spielen“, sagt Feist, „während der ersten Takte merkte ich erst, dass ich das schon eine ganze Weile nicht mehr gemacht habe. Aber zurzeit haben eben andere Sachen Vorrang.“

Dennoch ist die 31-jährige Kanadierin entspannt. Was auch an ihrem Kurzbesuch in Berlin liegen mag. Hier hat sie einige der Songs des neuen Album komponiert, und gleich wird noch ihre ehemalige Mitbewohnerin, die in der Stadt lebende Musikerin Peaches, auf einen Plausch vorbeikommen. Fünf Jahre ist es mittlerweile her, dass ihre Freunde Peaches und Gonzalez zu beachteten Szene-Stars wurden. Die beiden waren von Toronto nach Berlin gezogen, Peaches programmierte ebenso einfache wie eingängige Electro-Beats und sang dazu anzügliche Texte, Beck hatte sich als Gonzalez selbst zum Präsidenten des Berliner Undergrounds ernannt und produzierte eine Art Vaudeville-Hiphop. Dabei half Feist ihren Freunden gelegentlich aus. Für Peaches-Songs verwandelte sie sich in die Kunstfigur Bitch Lap Lap und leckte in einem Musikvideo genüsslich ein BMX-Rad. Für Gonzalez agierte sie als Sidekick bei seinen durchchoreografierten Konzerten.

Das alles könnte kaum weiter entfernt sein von der Musik, die jetzt auf Feists neuem Album zu hören ist. In ihrer Heimat Kanada zählt sie zu den erfolgreichsten Künstlern der letzten Jahre und wurde mit dem dortigen Pendant des Grammys ausgezeichnet. Doch wenn alles mit rechten Dingen zugeht, sollte „The Reminder“ sie auch weltweit von einem Geheimtipp zu einem Star machen. Auf dem Album wechseln sich leise Gitarren-Balladen mit mitreißenden Midtempo-Produktionen ab. „The Limit To Your Love“, einer der Höhepunkte des Albums, erinnert mit seinen anschwellenden Streichern und Orgelklängen an opulente Soul-Produktionen der Sechziger. Und Feists Interpretation des von Nina Simone bekannten Traditionals „Sea Lion Woman“ dürfte mit seinen variierenden Tempi, synkopierten Handclaps und Call-and-Response-Einlagen schon bald ein Live-Favorit werden. Vor allem aber begeistert Feists Stimme, die wie keine andere in der aktuellen Popwelt klingt: gleichzeitig distanziert und emotional, sanft und körnig.

Zwei der Songs auf „The Reminder“ – „Intuition“ und „The Water“ – haben ihren Ursprung in Demos, die Feist um die Jahrtausendwende in ihrer Wohnung in Toronto aufnahm. Auf diesen Demo-Aufnahmen, die in der Folge von Peaches und Gonzalez an Musiker und Plattenlabels verteilt wurden, singt Feist eindringliche, intime Akustik-Balladen. Aus den rohen und eindringlichen Home Recordings wurde schließlich das 2004er Erfolgsalbum „Let It Die“, das zur Hälfte aus Coverversionen bestand.

„Ich hatte damals Schwierigkeiten, neue Songs zu schreiben, deshalb nahm ich als Übung erst mal nur Coverversionen auf“, erinnert sich Feist. Auf der Platte wich der akustische Lo-Fi Rock der Demos einer luxuriösen Pop-Produktion, die einem früher von Indiefans als Ausverkauf ausgelegt worden wäre. „Wenn Leute diese Platte statt Didos Album kaufen würden, wäre die Welt ein besserer Ort“, schrieb damals das englische Trend-Magazin The Face. Feists Stimme hatte nichts mit der des seichten englischen Popstars Dido gemein. Aber das Erstaunliche an „Let It Die“ war, dass das Album sowohl als Bügel- und Bar-Musik durchging, als auch von den Indiefans geliebt wurde. Der Platte war etwas Seltenes gelungen: Sie brachte Radiohits hervor und wurde für TV-Spots lizensiert, verkaufte sich fast eine halbe Million Mal und avancierte zeitgleich zum Kritikerliebling.

Mittlerweile lebt Feist in Paris und Toronto, aber mehr als ein Drittel ihres Lebens hat sie eh auf Konzertreisen verbracht. Geboren und aufgewachsen in Calgary, spielte Feist schon ihr erstes richtiges Konzert als Mitglied einer Punkband vor den Ramones. Mit 20 hatte sie durch ständige Auftritte ihre Stimme so ruiniert, dass die Gefahr bestand, sie würde sie verlieren. Die erste eigene Platte floppte Ende der Neunziger. Doch dann lernte sie in Toronto Gonzalez und Peaches kennen, kurz bevor diese die Stadt Richtung Berlin verließen. „Ich ging damals nicht mit, weil ich gerade mit meiner neuen Band Broken Social Scene unterwegs war“, erzählt Feist. „Aber ich war begeistert von den Platten, die sie in Berlin aufnahmen. Und auch ein wenig neidisch auf das Leben, das sie führten und die Plattenverträge, die sie hatten.“

Längst gibt es keinen Grund mehr zum Neid. Leslie Feist, die von allen aus dem kanadischen Musikerfreundeskreis am wenigsten Ambitionen auf eine Solokarriere hatte, hat mittlerweile den meisten Erfolg. Doch immer noch kreuzen sich ständig ihre Wege. Für „The Reminder“ mietete Feist sich ein Studio inklusive dazugehöriger Wohnung in Paris, wo sie mit Gonzalez und anderen befreundeten Musikern wie Mocky und Jamie Lidell die Platte aufnahm. „Das war wie ein Sommercamp, keine übliche Plattenaufnahme. Wir aßen zusammen Frühstück und nahmen Songs im Schlafanzug auf. Uns war allen bewusst, dass das eine besondere Zeit war und wir vermutlich nicht sobald wieder die Möglichkeit hatten, an einem Ort zusammen zu arbeiten. Aber wir werden hoffentlich auch in Zukunft auf den Platten der anderen auftauchen.“

Feist: „The Reminder“ (Polydor/Universal); einziger Deutschlandauftritt: 23. 4. Berlin, Schillertheater