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Archiv-Artikel

„Der Präsident gilt als Retter“

Es gibt bisher kaum Vorschläge zur Einschränkung der Macht des Präsidenten, sagt der Politologe François

BASTIEN FRANÇOIS, 45, ist Professor für Politische Wissenschaften an der Pariser Sorbonne Paris und Mitgründer der „Convention pour la VIe République“. Zusammen mit dem Sozialisten Arnaud Montebourg hat François einen Entwurf für eine neue französische Verfassung erstellt.

taz: Herr François, sieben der zwölf Präsidentschaftskandidaten wollen eine Verfassungsreform und sprechen von einer VI. Republik. Was ist so falsch an der V. Republik?

Bastien François: Vor allem die Machtkonzentration in der Rolle des Präsidenten. Er muss sich während seiner Amtszeit vor niemandem rechtfertigen.

Schon der Sozialist François Mitterrand erklärte, die V. Republik abschaffen zu wollen. Einmal an der Macht, hat er das nie umgesetzt.

Das ist für Linke schwer zuzugeben. Aber tatsächlich hat Mitterrand als Staatspräsident zur Konsolidierung der V. Republik beigetragen. Die von der Linken legitimierten Praktiken hat dann der Konservative Chirac nutzen können, als er an die Macht kam.

Auch der Rechtsextreme Le Pen will eine VI. Republik …

Jean-Marie Le Pen will in die Verfassung ideologische Prinzipien hineinschreiben. In seinem Programm stehen Dinge wie die Todesstrafe und die „nationale Präferenz“. Für alle anderen bedeutet eine VI. Republik eine Demokratisierung. Sie wollen nicht Werte, sondern vor allem demokratischere Mechanismen in die Verfassung schreiben.

Wie sehen diese demokratischen Projekte aus?

Paradoxerweiser bezieht sich die Kritik zwar auf die Allmacht des Präsidenten, doch gibt es kaum Vorschläge, wie sich diese ändern ließe. Die meisten Vorschläge betreffen das Parlament. Diskutiert wird, wie man den Einfluss der Regierung auf dieses verringern könnte. Wie eine bessere Kontrolle der Regierung möglich wäre. Die Linke will außerdem den Bürgern mehr Initiativrechte für Gesetzesänderungen geben. Gefordert wird auch das Stimmrecht von Ausländern bei Kommunalwahlen.

Es gibt Parteien, die weit mehr als 5 Prozent der Stimmen bekommen oder den zweitstärksten Präsidentschaftskandidaten des Landes stellen, aber nicht im Parlament sitzen.

Unser Parlament ist weder politisch noch soziologisch besonders repräsentativ. Zum Beispiel sind besonders wenige Frauen im Parlament. Und wir haben ein Parlament, das fast komplett weiß ist. Auch die sozialen Unterschiede finden sich dort nicht wieder. Wir haben eine sehr große Gruppe von Abgeordneten aus dem öffentlichen Dienst.

Sollte die Direktwahl des Präsidenten abschafft werden?

Am Anfang war mit VI. Republik ein System wie in Deutschland oder England, Italien oder Spanien gemeint. Der Präsident der Republik – ob direkt gewählt oder nicht – wäre nur noch eine Art Schiedsrichter und nicht in der täglichen Regierungsarbeit engagiert.

Das hat nichts mit dem heutigen Frankreich zu tun.

Die Franzosen haben ein Problem mit ihrem Präsidenten. Einerseits finden sie, dass er zu mächtig ist. Gleichzeitig wollen sie, dass ihr Präsident über alles Bescheid weiß und eine Art Retter Frankreichs ist. Das spiegelt sich auch im Vokabular: Präsidentschaftswahlen werden inszeniert als Treffen zwischen einem Mann und der Nation. Da ist es für die Kandidaten schwierig, den Franzosen zu sagen: Übrigens werde nicht ich die Macht ausüben, sondern der Premierminister.

Sie reden von der VI. Republik, als wäre sie schon eine Gewissheit.

Wenn Sarkozy gewählt wird, gibt es wenig Chancen, dass die Verfassung tiefgehend geändert wird. Aber wenn Bayrou oder Royal gewählt wird, ist es wahrscheinlich, dass die Verfassung ziemlich grundlegend verändert wird. Das System ist verkrustet und funktioniert einfach nicht besonders gut. Wenn Kandidaten im ersten Durchgang mit 20 oder 25 Prozent gewählt werden, dann ist das nur maximal ein Viertel der eingeschriebenen Wähler. Im zweiten Durchgang bekommt er dann natürlich mehr als 50 Prozent der Stimmen. Tatsächlich hat er jedoch nur eine schwache Legitimation.

V. UND VI. REPUBLIK

Die Entstehung der V. Republik ist mit dem Namen General de Gaulles verbunden. Er nutzte die Algerienkrise, um eine neue Verfassung durch ein Referendum durchzusetzen. Diese stärkte die Exekutive und besonders den Präsidenten. Im jetzigen Wahlkampf trat die Mehrheit der Kandidaten für die „Gründung“ einer neuen, einer VI. Republik ein – was nicht zuletzt eine Beschneidung ihrer eigenen Macht bedeuten würde. Auch diese Verfassungsreform soll mit einem Referendum bestätigt werden.

Es ist erstaunlich, dass in dem Moment, in dem über eine EU-Verfassung diskutiert wird, die Franzosen eine neue nationale Verfassung wollen.

Beides hängt zusammen. Die Verfassung der V. Republik stammt aus dem Jahr nach den Römischen Verträgen von 1957. Die europäische Einigung findet sich in ihr erst seit 1992 – dem Jahr der Maastrichter Verträge wieder. Und auch das nur ganz marginal. Die VI. Republik ist eine Etappe der Europäisierung der französischen Politik.

Wie wird das künftige Staatsoberhaupt die Änderung der Verfassung durchsetzen?

Auf jeden Fall mit einem Referendum.

INTERVIEW: DOROTHEA HAHN