„Ich spreche Platt fast gar nicht“

Stefan Bargstedt ist wahrscheinlich der erste Designer weltweit, dessen Arbeit mit einem Heimatkundler-Preis ausgezeichnet wird. Sein Ziel: Das Niederdeutsche zum Habenwollen-Objekt zu machen. Der taz erklärt er, wie man einer bedrohten Sprache eine zeitgemäße Form verleiht

STEFAN BARGSTEDT, 32, geboren in Stade. Schriftsetzerlehre, Studium „Integriertes Design“ an der HfK Bremen. Bargestedt arbeitet als selbständiger Gestalter in Bremen.

Interview BENNO SCHIRRMEISTER

taz: Herr Bargstedt, haben Sie dem Plattdeutsch ein Relaunch verpasst?

Stefan Bargstedt: Relaunch? Kommt darauf an, wie das gemeint ist. Natürlich ist die Form das Hauptanliegen des Buchs, es ist ja in erster Linie eine Diplomarbeit in Grafik-Design. Aber Relaunch? Ich habe mich eher gefragt: Was kannst du persönlich damit anfangen? Muss das so sein, wie es ist?

Streckenweise hat das Buch auch etwas von einem Katalog: Es sucht die verschiedenen Erscheinungsformen des Plattdeutschen auf.

Ja, es ist eine Bestandsaufnahme. Darum heißt der Untertitel ja auch: „Wo und wie Plattdeutsch ist“. Für mich war interessant, dass es diese Vielzahl von Formen und Möglichkeiten hat – dass es eben nicht nur eine Sprache für alte Menschen ist, die sich nicht anders verständigen können. Und die Frage, warum es wichtig ist, dass es regionale Sprachen gibt.

Bestandsaufnahme scheint mir jetzt etwas tief gestapelt. Das Buch ist unerwartet modisch, fast poppig und doch eine Suche nach Anschlussfähigkeit!

Das war in der Tat ein Anliegen – das Platt als Sprache zu zeigen, die nicht von gestern ist. Man braucht für ein Designobjekt immer eine bestimmte Zielgruppe. Das sind in diesem Fall jedenfalls nicht die Plattdeutschsprecher, sondern eher junge, wahrscheinlich kulturinteressierte Menschen – die Generation der Enkel, die eben kein Platt mehr spricht, so wie ich. Oder besser: die sich nicht bewusst sind, wie viel Plattdeutsch sie noch sprechen. Schließlich färbt das deutlich auf unsere Alltagssprache ab. Die verrät ja schon noch, woher wir kommen: Man sagt, dass man die Heimat auf der Zunge trägt.

Sie sprechen kein Platt?

Ich verstehe es. Aber ich spreche es fast gar nicht. Meine Großmutter dagegen spricht fast nur Plattdeutsch, meine Mutter eigentlich schon nicht mehr. Wenn die beiden sich unterhalten, dann ist das ein zweisprachiger Dialog, in Hoch- und in Niederdeutsch – beide verstehen sich, aber beide bleiben in ihrer Erstsprache.

Das ist eine Szene, die im Buch relativ prominent vorkommt – und durch die, weil sie so persönlich ist, das Plattdeutsche auf einmal sehr zugänglich wird.

Das ist gar nicht so bewusst auf ein Publikum hin geschrieben. Das habe ich gemacht, weil es meine persönliche Situation ist, weil es eben auch mein Ausgangspunkt ist – dass ich als Enkel diese Sprache irgendwie in mir trage und dass sie auf dem Dorf, wo ich herkomme, noch immer zum Alltagsleben gehört.

Das Buch bekommt jetzt den Preis der Bremer Wittheit – einen Heimatforscherpreis. Das ist wahrscheinlich das erste Mal, dass ein Heimatkundepreis an eine Design-Arbeit geht.

Die hatten am Anfang schon Schwierigkeiten, das einzuordnen: Ich hatte das Buch eingereicht, dann haben sie es mir zurückgeschickt mit dem Hinweis, dass veröffentlichte Arbeiten vom Wettbewerb ausgeschlossen seien. Das musste ich denen erst mal klar machen, dass die Buchgestaltung Teil der Diplom-Arbeit ist. Dass ich Autor sowohl des Inhaltes als auch der Form bin.

Was macht das Niederdeutsche für einen Designer als Thema attraktiv?

Ich wollte fürs Diplom ein Thema suchen, mit dem ich selbst etwas verbinde, das mir am Herzen liegt. Während des Studiums hatte ich mich schon mit kulturellen Differenzen beschäftigt – zuerst hatte ich vor, etwas über Istanbul zu machen. Dann habe ich gemerkt: Das hier ist viel mehr mein Ding. Da geht es um meine eigene kulturelle Herkunft. Der Studiengang heißt „Integriertes Design – Mensch und Information“ …

an der Hochschule für Künste Bremen.

Ja, bei Professor Bernd Bexte. Dabei kommt’s darauf an, die richtige Form für einen Inhalt zu finden. Ich mag den Ausdruck „Habenwollen-Objekt“. Also ein Gegenstand, der das Bedürfnis nach sich selbst weckt. Das entsteht nur, wenn Form und Inhalt zusammenpassen. Das scheint ein Stück weit gelungen: Die meisten, die das Buch in die Finger kriegen, fragen jedenfalls, ob sie das kaufen können und wo es das gibt.

Und wo gibt’s das?

Einen Verlag habe ich noch nicht. Das ist gar nicht so einfach, weil es bei den etablierten Niederdeutsch-Verlagen – glaube ich – nicht richtig aufgehoben wäre. Und die anderen schrecken eher zurück.

Platt hat ein Imageproblem – diese reaktionäre Tümelei, die man damit verbindet, auch weil die Niederdeutsch-Szene im Dritten Reich eingespannt wurde. Wie geht man damit als Designer um?

Ich weiß nicht. Das Niederdeutsche ist damals instrumentalisiert worden und dieser Beigeschmack muss erst mal überwunden werden. Es funktioniert nicht, dass man einfach weiter die alten Lieder singt. Aber es gibt ja die zeitgemäßen Ansätze, an denen sich zeigt, dass die Sprache noch lebt. Etwa bei den Nachrichten auf Niederdeutsch beim NDR oder auf Radio Bremen – wo das Tagesgeschehen vom Hoch- ins Niederdeutsche übersetzt wird. Und die Niederdeutsch-Redakteure versuchen, neue, der Sprache entsprechende Begriffe zu finden.

Okay, das sind die Nachrichten. Aber diese Nachmittagssendungen …

Das ist richtig, oder auch die Wochenend-Kolumnen in Lokalzeitungen wie dem Weserkurier: Da wird das Plattdeutsche abgeschoben auf irgendeinen belanglosen Kram. Dadurch wird das Imageproblem natürlich noch unterstützt.

Als – halbwegs – gelungenes Beispiel für die Wiederbelebung einer bedrohten Regionalsprache gilt das Provencalische: Das hat Ende des 19. Jahrhunderts neue Sprecher durch neue Literatur gewonnen. Wie könnte Platt zukunftsfähig werden?

Weiß ich auch nicht. Wahrscheinlich weniger durch Groß-Kultur, eher an der Basis.

Als Graswurzelbewegung?

Bewegung hört ja auch irgendwann auf. Niederdeutsch steht jetzt auf der EU-Charta der bedrohten Sprachen. So viel zur Politik. Aber das nützt natürlich gar nichts. Weiterleben kann eine Sprache nur, wenn sich neue Leute dafür begeistern können.

Wie denn? Über die Worte? Dadurch, dass man plötzlich versteht, dass Pissnelke eigentlich Ameise heißt?

Warum nicht. Vor allem dadurch, dass man mit dieser Sprache ein anderes Verständnis für seinen Ort entwickelt, dafür, wo ich hier bin, dass z. B. eine „Twiete“ eine kleine, enge Gasse zwischen zwei Straßen ist. Und der Sassenhof ein Sachsenhof ist. Da ist man dann schon ziemlich tief drin in der Geschichte.

Ach ja?

Ja, weil das hier das Stammgebiet der Sachsen ist und Niederdeutsch sich aus dem Altsächsischen entwickelt hat. Oder ein anderes Beispiel: Dass die Regionalsprache Plattdeutsch zur Hansezeit Weltsprache war, dass man in Nowgorod, Bergen und London Verträge auf Niederdeutsch abgeschlossen hat. Mein Buch heißt ja deshalb auch „Dat dat dat gifft“: Damit will es zum einen zeigen, „dass es das gibt“, aber vor allem ist dies ein Ausdruck des Erstaunens – über die Bandbreite von Platt.