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Archiv-Artikel

„Ich will keine Foto-Datei aller Bürger“

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz Peter Schaar ist gegen Innenminister Schäubles Wunsch, der Polizei direkten Zugriff auf die Fotos in den Meldebehörden zu ermöglichen. Auch einen Kompromissvorschlag der SPD lehnt er ab

PETER SCHAAR, 52, ist seit 2003 Bundesdatenschutzbeauftragter. In Hamburg war er früher Grünen-Politiker.

INTERVIEW CHRISTIAN RATH

taz: Die Polizei soll online rund um die Uhr auf die Passfotos der Bundesbürger zugreifen können, die die Passbehörden gespeichert haben – so plant es die Bundesregierung. Die SPD schlägt jetzt vor, diesen Online-Zugriff nur nachts und am Wochenende zuzulassen, wenn die Meldebehörden zu sind. Ein sinnvoller Kompromiss?

Peter Schaar: Eher nicht. Denn wenn erst einmal die technische Infrastruktur für den Online-Zugriff steht, dann wachsen bald auch die Begehrlichkeiten.

Auf einen 24-Stunden-Zugriff der Polizei?

Nicht nur, sondern auch auf neue Abrufmöglichkeiten. Bisher will die Polizei zu einem Namen ein Foto haben, sie will wissen, wie eine namentlich bekannte Person aussieht. Interessant könnte aber auch die Gegenrichtung sein. Dann könnte ein vorliegendes Bild mit den Passfoto-Registern abgeglichen werden, um zu erfahren, wie die Person heißt und wo sie wohnt. Das wäre eine ganz neue Qualität der Polizeiarbeit.

Ist das denn technisch schon möglich?

Noch nicht, aber die Gesichtserkennungs-Software entwickelt sich sehr schnell. Das ist wohl nur eine Frage von wenigen Jahren.

Sie wollen also den technischen Fortschritt aufhalten?

Nein. Ich habe nichts dagegen, wenn die Meldebehörden heute Fotos per E-Mail statt per Post verschicken. Das wird ja teilweise bereits gemacht. Ich will nur nicht, dass eine Infrastruktur entsteht, bei der die rund 5.300 Passregister so vernetzt sind, dass sie aus Sicht der abfragenden Polizei oder anderer Stellen wie eine zentrale Passfoto-Datei der ganzen Bevölkerung funktionieren. Denn genau so etwas wollte der Bundestag immer verhindern.

Sie sprechen von Infrastruktur. War der eigentliche Sündenfall nicht schon die Digitalisierung der Passbilder?

Wenn die Bilder erst mal eingescannt sind und als Datei vorliegen, dann ist klar, dass irgendwann ein Online-Zugriff gefordert wird. Aber wir Datenschützer können auch nicht die Verwaltung zwingen, weiter mit den Methoden des letzten Jahrhunderts zu arbeiten. Die Digitalisierung der Passbilder hat ja schon vor mehr als zwanzig Jahren begonnen.

Begehrlichkeiten zur Nutzung der digitalen Passfotos hätte es also auch ohne die biometrischen Pässe gegeben?

Ja, aber frontal aufgenommene Passbilder, wie sie für den biometrischen Reisepass verlangt werden, sind für die Polizei interessanter. Sie erlauben eher eine Auswertung mit Gesichtserkennungs-Software als alte Passbilder mit Halbprofil.

Sind Sie dafür, die Passfotos ganz aus den Passregistern zu löschen, damit die Polizei keinen Zugriff hat?

So weit würde ich nicht gehen. Zwar hatte die Polizei schon immer Interesse an den Fotos im Passregister, wie überhaupt die ganze Pass- und Meldepflicht eine Erfindung des preußischen Obrigkeitsstaates ist. Aber die Fotos im Passregister haben auch einen praktischen Sinn. Wenn ich meinen Pass verloren habe und einen neuen will, kann die Behörde überprüfen, ob ich auch die richtige Person bin.

FINGERABDRUCK UND FOTO IM PASS

Daten im Pass: Seit Ende 2005 enthalten neue Reisepässe einen Biometrie-Chip. Darauf ist ein digitalisiertes Passbild gespeichert. Bei Kontrollen soll so mit computergestützter Gesichtserkennung verhindert werden, dass eine Person mit dem fremden Pass eines ähnlich aussehenden Menschen durchkommt. Weil die Gesichtserkennung aber noch zu fehlerhaft ist, wird bei neuen Pässen ab November 2007 im Chip noch der Fingerabdruck gespeichert.

Daten im Behördenrechner: Die große Koalition diskutiert nun aber, ob die Fingerabdrücke auch bei den Behörden gespeichert werden und ob die dort bereits gespeicherten Passbilder für die Polizei direkt verfügbar sein sollen. Am heutigen Montag erörtert der Innenausschuss des Bundestags die Pläne zur Änderung des Passgesetzes mit Experten, darunter auch der Datenschutzbeauftragte der Bundesregierung Peter Schaar. CHR

CDU/CSU und Innenminister Schäuble wollen sogar die Fingerabdrücke, die für den biometrischen Pass genommen werden, bei den Passbehörden speichern. Gibt es auch dafür einen praktischen Zweck?

Ich sehe keinen. Hier droht vielmehr eine dezentral vernetzte Fingerabdruck-Datei der ganzen Bevölkerung. Gegen einen solchen Eingriff hätte ich verfassungsrechtliche Bedenken, da er völlig unverhältnismäßig wäre.

Schäuble sagt, damit könne Identitätsdiebstahl verhindert werden.

Dazu müssen nicht die Fingerabdrücke gespeichert werden. Hierfür genügen bereits die Passfotos.

Was wäre, wenn die Union offen sagen würde, dass die Fingerabdrücke zur Strafverfolgung genutzt werden sollen?

Auch dann wäre die Speicherung unverhältnismäßig. Man kann nicht die Fingerabdrücke der ganzen Bevölkerung erfassen, nur um gelegentlich eine Straftat aufzuklären.