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Archiv-Artikel

Der Informant

Peter-Jürgen Boock zeigt sich gern als geläuterter RAF-Aussteiger

VON WOLFGANG GAST

Als einer der ersten RAF-Aussteiger hat sich Peter-Jürgen Boock in der Vergangenheit bislang nur selbst belastet. Seine Motive waren vielfältig, aber er hat immer beteuert, er wollte nicht, dass andere RAF-Täter für Taten verurteilt werden, die sie nicht begangen haben. Um Christian Klar zu entlasten, belastet Boock nun andere. Konkret: Stefan Wisniewski soll Buback erschossen haben.

Angefangen mit dem Ausstieg hatte Boock 1992, seit 1981 in Haft, mit einer Lebensbeichte. Dazu entschließt er sich in der Nacht zum 24. März. Am Morgen soll er in einem Ermittlungsverfahren gegen das frühere RAF-Mitglied Angelika Speitel aussagen. Nachdem zehn RAF-Austeiger in der ehemaligen DDR festgenommen worden waren, kommt es zu neuen Gerichtsverfahren. Um Angelika Speitel davor zu schützen, packt Boock aus, korrigiert seine früheren Aussagen: Er, der nie geschossen haben will, gesteht seine Beteiligung an den Morden der RAF.

Seinen Schritt begründet Boock im Juni 1992 in einem Interview mit der taz: „Ich sah die Gefahr, dass sie (Speitel) es nicht verkraftet, wenn sie wegen der Schleyer-Entführung erneut und zu Unrecht zu lebenslanger Haft verurteilt wird.“ Speitel habe während ihrer 13-jährigen Haftstrafe einen Selbstmordversuch nur „knapp überlebt“. Er, der eigentlich nie mehr in einem Gerichtsverfahren aussagen wollte, sei ins Schwanken gekommen, „als ich sah, dass durch mein Verhalten andere, die in der RAF-Zeit von mir Befehle erhalten und ausgeführt hatten, in neuen Verfahren für Aktionen verurteilt werden könnten, mit denen sie nichts zu schaffen hatten“.

Boock steht dem Bundesanwalt und RAF-Ankläger Klaus Pflieger fünf Wochen lang Rede und Antwort. Er belastet sich selbst – und von der RAF nur Leute, die bereits tot sind. Er selbst hatte bis dahin beteuert, niemals gemordet zu haben, räumt nun aber ein, bei der Entführung von Hanns-Martin Schleier mitgeschossen zu haben. Vier Begleiter von Schleyer wurden mit 118 Schüssen durchsiebt. Er habe auch die Waffen präpariert, mit denen die in Stammheim inhaftierten RAF-Mitglieder im Herbst 1977 Selbstmord verübten. Er erklärt, dass abgesprochen war, die Suizide als staatlich verübte Morde zu inszenieren.

Die Lebensbeichte des Peter-Jürgen Boock schlägt ein wie eine Bombe – vor allem im linksliberalen Milieu, das sich über Jahre für den Mann verwendet hat. Wie kein anderer RAF-Aussteiger schafft es Boock, Rechtsanwälte, Journalisten und einflussreiche Personen für sich einzunehmen, darunter Pastor Heinrich Albertz und Marion Gräfin Dönhoff. Mit seiner Verurteilung zu dreimal „lebenslänglich“ plus fünfzehn Jahre – damals die höchste Strafe in der bundesdeutschen Rechtsgeschichte – wird Boock Mitte der Achtzigerjahre zum Sinnbild eines Opfers der antiterroristischen Sonderjustiz. Er wird zu einem von der Haft gezeichneten Gefangenen, den es zu stützen oder gar vor Selbstmord zu bewahren gilt.

Als die Begnadigung Boock fast sicher scheint, melden sich inhaftierte RAF-Mitglieder: „Seine geschichte ist (…) ware, mit der er seine begnadigung erdealt, auch rache, projektion und verachtung gegenüber allen, die ihm auf seinem eigenen terrain: schläue – begegnen.“ Daraufhin wird der Freigang Boocks gestrichen. Das von ihm gekonnt gezeichnete Bild eines geläuterten Aussteigers, der bei der Attentatsserie 1977 nur noch halbherzig und als Techniker mitgemacht, beginnt schließlich 1990 zu zerspringen. Die RAF-Aussteiger aus der DDR spekulierten als Kronzeugen auf eine Strafminderung – und belasteten Boock. Aus ihren Aussagen wird unter anderem klar, dass fünf RAF-Kader nur deshalb von der Polizei gefasst werden konnten, weil sie für den drogensüchtigen Boock Stoff besorgten – im Glauben, für einen schwererkrankten Genossen Schmerzmittel zu beschaffen. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch der Hass der Gruppe, der gegen Boock weitaus größer ist als gegen jeden anderen Aussteiger aus der RAF.

Nach seiner Lebensbeichte zieht Boock ein 1988 gestelltes Gnadengesuch zurück. Bundespräsident Richard von Weizsäcker stellt er anheim, „mein bei ihnen anhängiges Gnadengesuch niederzuschlagen, da es – was meine Person, meine Beteiligung an Aktionen der RAF und meine objektive Position in dieser Gruppe – auf unzutreffenden Voraussetzungen beruht“. Seine Offenbarung erklärte Boock damit, dass er es in der Vergangenheit nicht geschafft habe, „zu den Taten zu stehen, an denen ich beteiligt war“. Nach 17 Jahren Haft wird Boock am 13. März 1998 aus der Haft entlassen. Er lebt heute als freier Autor in Freiburg.