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Archiv-Artikel

Eine linke Geschichte

Verfassungsschützer wissen seit mehr als 20 Jahren, wer Buback im Deutschen Herbst erschossen hat. Aussteiger Boock: Die Quelle war bei der RAF

Verfassungsschützer haben ein Fehlurteil hingenommen und später nie korrigiert

VON WOLFGANG GAST

Die genaueren Umstände der Ermordung von Generalbundesanwalt Siegfried Buback vor 30 Jahren scheinen geklärt – und die deutschen Behörden haben damit ein ziemliches Problem. Peter-Jürgen Boock, früheres Mitglied der RAF, bestätigt in der jüngsten Ausgabe des Magazins Der Spiegel die Aussagen der früheren RAF-Gefangenen Verena Becker, wonach Stefan Wisniewski die tödlichen Schüsse am 7. April 1977 auf Buback und seine beiden Begleiter abgegeben haben soll.

Brisant: Die Angaben Beckers liegen dem Bundesamt für Verfassungsschutz seit über 20 Jahren vor. Laut Spiegel wurden sie den Justizbehörden bewusst vorenthalten, um zu verhindern, dass der Kontakt Beckers zum Verfassungsschutz bekannt wird. Offen bleibt, wann Becker die Angaben gegenüber dem Verfassungsschutz machte. Am Problem ändert das wenig: Die Verfassungsschützer haben entweder im Wissen um die neuen Details ein Fehlurteil des Oberlandesgerichtes Stuttgart zugelassen. Oder sie haben verhindert, dass ein bereits ergangener falscher Urteilsspruch korrigiert wird.

Verena Becker, die drei Wochen nach der Ermordung Bubacks zusammen mit dem RAF-Mitglied Günter Sonnenberg im baden-württembergischen Singen festgenommen wurde, soll 1982 zum Verfassungsschutz „übergelaufen“ sein. Dass es den Geheimdienstlern gelungen ist, unter den RAF-Gefangenen eine Quelle anzuwerben, ist an sich schon eine Sensation. Dass Verena Becker aber auch detailliert über den Hergang des Attentats berichtete, dürfte auch heute noch gravierende juristische Folgen haben. Denn nach Beckers Aussagen ist mit Knut Folkerts ein RAF-Mitglied für den „gemeinschaftlichen“ Mord an Buback verantwortlich gemacht worden, der zum Zeitpunk des Attentats nicht einmal in Deutschland war. Und im Gegenzug ist der tatsächliche Schütze, der 1953 geborene Stefan Wisniewski, für diese Tat nicht vor Gericht gestellt worden. Wisniewski wurde im Dezember 1982 unter anderem wegen der Entführung und Ermordung von Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer im Herbst 1977 zu lebenslanger Haft verurteilt. Nach der Verbüßung der gerichtlich festgesetzten Mindestdauer kam er nach 20 Jahren im März 1999 wieder frei.

Die Bundesanwaltschaft wollte den Spiegel-Bericht nicht kommentieren. Auch der Verfassungsschutz lehnte eine Stellungnahme zum Fall Becker ab.

Aber nicht nur der Verfassungsschutz muss um die fragwürdige Urteilsbegründung im Buback-Verfahren gewusst haben. Seit 1990 lagen auch dem Bundeskriminalamt (BKA) ernstzunehmende Hinweise darauf vor, dass sich der verurteilte Folkerts am Tattag nicht in Deutschland aufgehalten hat. Das geht dem Spiegel zufolge aus Vernehmungsprotokollen der früheren RAF-Angehörigen Silke Maier-Witt hervor, die in der DDR untergetaucht war und dort 1990 festgenommen wurde. Am Abend des betreffenden Tages habe Folkerts gemeinsam mit dem RAF-Mitglied Rolf Heißler bei Kerkrade an der deutsch-niederländischen Grenze auf sie gewartet. Anschließend seien sie zu dritt nach Amsterdam gefahren. Folkerts hat bisher zu seiner Tatbeteiligung geschwiegen.

Nach Beckers Angaben hat Wisniewski als Beifahrer auf dem Motorrad die tödlichen Schüsse abgegeben. Am Lenker saß demnach Sonnenberg, während Christian Klar im Fluchtauto auf die Täter gewartet habe.

Peter-Jürgen Boock bestätigt Beckers Aussagen im Kern. Über die Rolle von Christian Klar, dessen Begnadigungsgesuch zurzeit von Bundespräsident Horst Köhler geprüft wird, sei er aber nicht informiert. Boock hat in den vergangenen Wochen Michael Buback, Sohn des Ermordeten, kontaktiert, um ihm mitzuteilen, dass Klar nicht persönlich geschossen habe. Michael Buback hatte zuvor mehrfach betont, ihm als Angehörigen sei es wichtig zu wissen, wer der Schütze gewesen war. Die genauen Umstände des Todes von Buback waren bisher öffentlich nicht bekannt, weil sich die angeblich beteiligten RAF-Mitglieder dazu nicht äußerten.

Nach den neuen Enthüllungen forderten zahlreiche Politiker Aufklärung. „Sollten diese Informationen stimmen, braucht unser Land eine juristische und politische Aufklärung des Deutschen Herbstes“, sagte FDP-Generalsekretär Dirk Niebel der Bild am Sonntag. Der CSU-Rechtsexperte Norbert Geis erklärte: „Um der Wahrheit Willen hätten BKA und Verfassungsschutz ihre Informationen sofort an den Generalbundesanwalt weitergeben müssen.“ Der FDP-Politiker Gerhart Baum, zur Zeit des Buback-Mordes Parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium und später Bundesinnenminister, sagte im „heute journal“ des ZDF: „Wenn die neuen Erkenntnisse stimmen, müssten sicherlich Verfahren aufgerollt werden. Und zwar in Richtung Folkerts entlastend und in Richtung Wisniewski belastend.“ Das Urteil gegen Christian Klar sei aber nicht anzuzweifeln, weil dieser im Fall Buback wegen Mittäterschaft verurteilt worden sei.