: HamburgerInnen aus Spanien
FREMDE In der Dokumentation „Auf vielen Stühlen - Ein Leben in Deutschland“ von Ainhoa Montoya Arteabaro erzählen fünf ehemalige “Gastarbeiterkinder“ aus Spanien von ihren Erfahrungen
VON GASTON KIRSCHE
Vicente Martínez, Andrea Miragaya, Rosa Fava, Encarnación Gutiérrez und José Valdueza - fünf sehr unterschiedliche Persönlichkeiten. Sie sind mit einem oder zwei Elternteilen aus Spanien in Deutschland aufgewachsen, leben in Hamburg. In dem Dokumentarfilm „Auf vielen Stühlen - Ein Leben in Deutschland“ erzählen, wie es war, als „Gastarbeiterkind“ aufzuwachsen. Ihre Eltern kamen in den 1960er Jahren in die Bundesrepublik. Aus dem franquistischen Spanien migrierten damals Viele, die dort keine Perspektive hatten, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Da Deutschland an Arbeitskräften interessiert war, nicht an Einwanderung, gab es für die mitkommenden Kinder keine besondere Aufmerksamkeit. Andrea Miragaya erzählt, wie ihre Familie als Gastarbeiter selbstverständlich am Rande des Dorfes lebten, in heruntergekommenen Häusern. Bei den Dorffesten bekamen traditionell alle Kinder, die bei den Wettbewerben mitmachten einen Preis. Bei ihrem Namen stockte der Preisrichter, über Lautsprecher mokierte er sich, was dass denn für ein komischer Name sei. Von nun an waren die Gastarbeiterkinder vom Dorffest ausgeschlossen.
Encarnación Gutiérrez schildert ihre Kindheit in einer Barackensiedlung in Frankfurt. Als sie in die Schule im benachbarten Stadtteil kam, bemerkte sie und ihre Eltern bei den deutschen Eltern, die aus der Mittelschicht kamen, eine Abgrenzung, aus zwei Gründen, wie sie rückblickend meint: nicht nur, dass sie „Ausländer“ waren, dazu kamen sie auch noch aus der Arbeiterklasse. Der Osdorfer Born sei fast wie eine Favela, schildert José Valdueza - Randständige aus ganz Norddeutschland seien dort gestrandet. Und MigrantInnen, wie seine Familie. Von Deutschen wurde er dort als „Kanacke“ beschimpft.
Er schildert, wie er immer alles besser machen wollte. Im Gegensatz zu den meisten Kindern deutscher Eltern dort machte er Abitur. Um den Zugang zum Gymnasium mussten seine Eltern für ihn kämpfen. Heute ist er Arzt. Alle fünf GesprächspartnerInnen der Regisseurin AinhoaMontoya Arteabaro haben Universitätsabschlüsse. Im selbstorganisierten Spanischen elternverein in Hamburg und ähnlichen Anlaufstellen wurden Briefe geschrieben, Behördengänge organisiert, um die Abschiebung der Gastarbeiterkinder auf Hilfs- oder Hauptschulen zu verhindern. Das deutsche Schulsystem ist klassistisch und germanozentriert, erklärt Vicente Martínez, mit der Festlegung der Schullaufbahn werde auch die spätere soziale Position vorbestimmt. Er arbeitet als Sozialarbeiter bei einem migrantischen Kulturverein.
Ein diffuses Gefühl der Peinlichkeit, irgendwie falsch zu sein schildert Rosa Fava aus Ihrer Kindheit. Später kam das Bewusstsein, dass sie durch den ganz alltäglichen Rassismus ausgegrenzt und abgewertet wurde. Wie die fünf Befragten den Rassismus in Deutschland analysieren, sowohl den staatlichen als auch den gewöhnlichen in der Bevölkerung verdichtet die Regisseurin in den ineinander montierten Interviews zum Schluss hin. Die Regisseurin AinhoaMontoya Arteabaro, selbst 1998 nach einem ersten Studium aus Madrid eingewandert, hat in den Interviews, die sie in den Wohnzimmern der Befragten geführt hat, eine Vertrautheit erreicht, die ebenso emotionale wie fesselnd offenherzige Aussagen dokumentiert. Die Interviews in dem weitgehend spanischsprachigen Film sind kunstvoll verwebt und mit Bildern aus den Stadtteilen und von einigen Arbeitsstätten angereichert. Eine spannende Sicht auf Deutschland aus der Perspektive ehemaliger „Gastarbeiterkinder“.
Der Film läuft im Metropolis am Sa, 21.5. 19.00 als Premiere mit Gästen, weitere Vorführung Di, 24.5