: War da was?
Inter Mailand ist italienischer Meister. Der Fußball feiert sich, mit den Skandalen beschäftigt sich nur noch die Justiz
ROM taz ■ Als Marco Materazzi am Samstag um 16.22 Uhr in Siena das 2:1 erzielte, kannte der Jubel der Inter-Fans keine Grenzen. AS Rom lag zugleich in Bergamo mit einem Tor zurück, und das hieß: Inter Mailand ist Meister, schon fünf Tage vor Ablauf der Saison. 18 Jahre hatten die Fans auf einen sportlich errungenen Titel warten müssen. Immer wieder hatten die Anhänger der anderen Clubs ebenso wie viele Sportjournalisten Hohn und Spott über Inter Mailand ausgegossen, weil das Team immer wieder knapp dran am Titel – und dann am Ende doch gescheitert war.
Entsprechend ausgelassen waren dann am Sonntagabend tausende Tifosi auf dem Mailänder Domplatz. Inter hatte es allen gezeigt. Hatte es? Der Erzrivale Juventus Turin nämlich war gar nicht dabei. Das Fehlen der Rekordmeister schmälert den Mailänder Triumph – doch die Gründe dieses Fehlens sind ansonsten in Italien kaum noch Thema. Das zeigte sich schlagend letzte Woche, als die Uefa mit 8:4 Stimmen die EM 2012 an Polen und die Ukraine vergab statt an Italien. Die Sportministerin Giovanni Melandri rang angesichts des Votums mit den Tränen, und so mancher italienische Kommentator schob die Schuld auf ein „schlecht vorbereitetes italienisches Dossier“. Der Gedanke, die Fußballskandale des letzten Jahres könnten viele in Europa misstrauisch gemacht haben, streifte dagegen so gut wie niemanden in Italien.
Hier hat man schon längst die Geschichte um den früheren Juve-Generaldirektor Luciano Moggi zu den Akten gelegt, jenen Moggi, der über Jahre hinweg systematisch mit ihm gewogenen Schiedsrichtern Spiele verschoben hatte. Juventus hatte der Megaskandal den Abstieg in die Zweite Liga eingebracht, die ebenfalls verwickelten Vereine Lazio Rom, Florenz und AC Mailand dagegen durften in der Serie A bleiben, wenn auch mit Punktabzügen. Als dann vor zwei Wochen bekannt wurde, dass Moggi noch mehr Partien manipuliert hatte als bisher bekannt, interessierte das schon niemanden mehr. Bloß die Staatsanwaltschaften ermitteln, die Welt des Sports dagegen ist zur Tagesordnung übergegangen, und die heißt: In der nächsten Saison wird Juve als Aufsteiger wieder gegen AS Rom, Inter und AC Milan um Meisterwürden und Champions-League-Qualifikation spielen.
Längst überwunden ist in Italien auch der Schock um den Tod des Polizisten, der am 2. Februar in Catania bei Fankrawallen ums Leben kam. Wie im Vorjahr anlässlich des Korruptionsskandals hatten sich die Fußballfunktionäre erneut mit volltönenden Erklärungen zu Wort gemeldet und ein Großreinemachen gefordert, hatte die Regierung zugleich die Schließung zahlreicher Stadien verfügt, weil die Sicherheitsbestimmungen nicht erfüllt waren. Schon nach ein paar Wochen dann waren alle Stadien wieder offen, nur Catania kickt noch vor leeren Rängen. Selbst die meisten jener Journalisten, die zum „System Moggi“ gehörten und im Fernsehen die von Juve bezahlten Schiedsrichter-Fehlentscheidungen schönzureden hatten, sitzen wieder an ihrem Platz. Von dem aus können sie dann in der nächsten Saison eine Meisterschaft kommentieren, die wieder „völlig normal“ ist, mit Inter und Juventus als großen Favoriten. MICHAEL BRAUN