: Im Traumberuf immer am Ball
VON LUTZ DEBUS
Zwei kleine Uhren stehen auf dem schmalen Pult. In der linken Hand hält sie das Mikrofon, ihre rechte Hand wechselt blitzschnell zwischen verschiedenfarbenen Faserschreibern, einem Textmarker und einer Stoppuhr hin und her. Vor ihr flimmert ein Monitor. Doch Sabine Töpperwien schaut lieber an ihn vorbei aufs Spielfeld, folgt mit weit geöffneten Augen dem weißen Ball. Plötzlich gibt es ein Gedränge im Strafraum, sechs, sieben Spieler versuchen, an den Ball zu kommen. Da schreit Töpperwien: „Toooor.“ Ihre Stimme überschlägt sich. Doch dann sofort fragt sie: „Oder doch Abseits?“ Der Schiedsrichter deutet auf die Spielfeldmitte. „Offiziell ein Tor. Aber ich bin mir nicht sicher.“ Anne van Eickels, Mitarbeiterin der WDR-Moderatorin, telefoniert, nickt, beugt sich zu der Reporterin und schreit ihr etwas ins Ohr. „Wie wir gerade erfahren, kein aktives Abseits, nur passives Abseits. Der Schiedsrichter hat das Tor zu Recht gegeben. Und damit zurück ins Funkhaus.“
Über zwei Dutzend Einblendungen muss Sabine Töpperwien an diesem Bundesligaspieltag mit ihren Kommentaren füllen. Fünf Radiostationen wollen zusätzlich zu den festgelegten Konferenzschaltungen Ausschnitte vom Spiel VFL Bochum gegen Hertha BSC Berlin übertragen. Sekundengenau geht die WDR-Reporterin auf Sendung. In der Minute, die ihr dann zur Verfügung steht, muss sie vom Spielverlauf berichten, das aktuelle Geschehen auf dem Platz wiedergeben und dabei spannend erzählen. Zu Beginn des Spiels fiel überraschend ein Tor. Drei Mal berichtet sie von der Anekdote, dass der Trainer in jenem Fall seiner Mannschaft eine Pizza ausgeben muss. Diese Geschichte erzählt sie den bayrischen, berlin-brandenburger und westdeutschen Hörern, eine Wiederholung der Pointe auf einem Sender käme nicht so gut. Aber Töpperwien behält den Überblick.
Das muss sie auch. Zwar hat sich Deutschlands erste und lange Jahre einzige Bundesligareporterin inzwischen etabliert; die 46-Jährige ist mittlerweile Sportchefin von WDR 2 und somit für die gesamte Fußballberichterstattung des Kölner Senders verantwortlich. Aber ein Patzer wäre selbst 35 Jahre nach dem legendären Versprecher von Carmen Thomas für Frauen in diesem Metier unverzeihlich. Thomas hatte als erste Moderatorin des „Aktuellen Sportstudios“ irrtümlich den Gelsenkirchener Fußballverein Schalke 05 genannt. Was folgte, war eine beispiellose Hetzkampagne der Bild.
Zu jener Zeit spielte Sabine Töpperwien selbst aktiv Fußball. Nicht im Verein, das war damals für Mädchen kaum möglich. Aber doch mit den Jungs im elterlichen Garten oder im Kurpark von Osterode. In dem Städtchen im Harz ist die Journalistin aufgewachsen. Die Osteroder beobachteten die Freizeitaktivitäten des Mädchens mit Skepsis. „Nicht jeder Pass kam an. Manchmal landete der Ball auch in den Osterglocken“, erinnert sich Töpperwien.
Aber die Eltern standen zur Fußballbegeisterung ihrer Tochter, förderten sie sogar. Gemeinsam mit Vater, Mutter und dem zehn Jahre älteren Bruder Rolf ging es am Wochenende immer auf den Fußballplatz des VfR Osterode –„Verein für Rasensport“, spricht Sabine Töpperwien und muss lachen. Es sei eine schöne Kindheit gewesen in der südniedersächsischen Provinz. Der Vater besaß eine kleine Lederfabrik. Beide Eltern interessierten sich für die Hobbys ihrer Kinder. „Rolling Stones, Led Zeppelin, alles haben wir denen vorgespielt.“
Noch heute geht die mittlerweile 78-jährige Mutter mit ihrer Tochter gemeinsam ins Konzert: zu Brian Ferry oder zu George Michael. Der Vater sei leider viel zu früh gestorben, ergänzt Sabine Töpperwien mit leiser Stimme. Auch zum Bruder habe sie ein inniges Verhältnis. „Ich himmelte ihn an. Und für ihn war ich die kleine Prinzessin.“
Als Bruder Rolf seine ersten Sendungen beim ZDF machte, war es für die damals 17-jährige klar, nicht Lehrerin, sondern Sportjournalistin zu werden. Ihr großer Bruder nahm sie mit zu einem Spiel zwischen Eintracht Braunschweig und dem FC Bayern München. Das war ihr erstes Bundesligaspiel. „Eine faszinierende Welt tat sich da auf. Ein echtes Stadion mit riesigen Tribünen.“ Sie selbst war zu jener Zeit erfolgreiche Tischtennisspielerin, brachte es mit dem ASC Göttingen bis in die 2. Bundesliga.
„Alles, was sich um den Ball dreht, interessiert mich“, erklärt die Moderatorin. Das Studium der Sozialwissenschaften absolvierte sie, um ihrem beruflichen Traum näher zu kommen. Beim NDR durfte sie als freie Mitarbeiterin über Sport berichten. Noch heute erinnert sie sich mit einem Lachen, aber auch mit leichtem Zorn an eine Redaktionskonferenz im Jahre 1985. Der damalige Chef fragte die Neue, über welche Sportart sie denn berichten mochte. „Über Fußball natürlich“, habe Sabine Töpperwien sofort geantwortet. „Zwölf Augenpaare schauten mich an, als käme ich von einem anderen Stern.“ Konsterniert habe der Chef dann angefragt, ob sich die neue Mitarbeiterin denn nicht auf Rhythmische Sportgymnastik konzentrieren könne. „Sorry, das ist nicht meins“, habe sie darauf geantwortet. Man einigte sich auf Hockey, fast ein Ballsport und auch von Frauen gespielt.
Natürlich hat die Fußballfanatikerin weiterhin ihre Kollegen genervt. Irgendwann durfte sie dann zu ihrem ersten Zweitligaspiel. Weil kein anderer den weiten Weg machen wollte, konnte Sabine Töpperwien nach Meppen fahren. Zu jener Zeit suchte der WDR eine Frau für die Sportredaktion. Die Kölner boten ihr eine Festanstellung an. An ihrem letzten Arbeitstag beim NDR durfte sie dann endlich im Oberhaus am Mikro Platz nehmen. Die Hamburger Radioleute gönnten den Kölnern nicht den Triumph, als erster Sender eine Frau in diese Männerdomäne zu schicken. 1989 war Sabine Töpperwien das erste Mal in der Bundesligakonferenz zu hören: aus dem Hamburger Volksparkstadion vom Spiel St. Pauli gegen den HSV.
Die Hörerreaktionen in den ersten Jahren waren gemischt. Manche wollten die „Querulantin“ direkt wieder an den Herd schicken. Andere freuten sich, dass endlich mal eine Frau über Fußball redete. Trotzdem dauerte es 15 Jahre, bis eine weitere Frauenstimme bei den Hörfunkprogrammen der ARD über die 1. Liga berichten durfte. Seit 2005 meldet sich regelmäßig Martina Knief aus der Frankfurter Commerzbank-Arena, älteren noch bekannt als Waldstadion. Wie findet Sabine Töpperwien eigentlich die fortschreitende Kommerzialisierung ihres Lieblingssports? Ein kritischer Kommentar dazu ist ihr nicht zu entlocken. „Fußball spiegelt die Gesellschaft wider“, sagt sie. Und Kommerzialisierung gebe es nun mal überall. Sabine Töpperwien vertritt eher traditionelle Werte. Auch als Frauenrechtlerin sieht sie sich nicht. Es gab in einer Talkshow mal ein Aufeinandertreffen mit Alice Schwarzer. Diese habe sie nicht überzeugen können, so Töpperwien. „Wenn es Bewerbungen von einem Mann und einer Frau gibt und beide sind gleich gut, würde ich die Frau nehmen, um das Zahlenverhältnis auszugleichen. Aber ich stelle doch keine schlechtere Frau an, nur weil sie eine Frau ist.“