: Der Nicht-Angekommene
Als Sänger der Hamburger Punkband Die Goldenen Zitronen hat Schorsch Kamerun Solidaritätskonzerte für die Hafenstraße organisiert. Er hat einen Club gegründet, Theaterstücke geschrieben und gerade den renommiertesten deutschen Hörspielpreis gewonnen. Angekommen? – Blöde Frage
VON FRIEDERIKE GRÄFF
Schorsch Kamerun nimmt es genau. So genau, dass man nach dem Treffen eine Stunde am Telefon um die Zitate ringt. Weil er findet, dass die Frage nach dem Ankommen, nach seinem und auch dem einer ganzen Bewegung „ordentlich“ beantwortet werden muss. Aber erst einmal sitzt er in einem Café vor der Berliner Volksbühne und ärgert sich. „Angekommen“, sagt Schorsch Kamerun. „Was für ein blöder Begriff. Die Leute an der Volksbühne sind auch nicht mehr angekommen als diejenigen in rein alternativen Zusammenhängen“.
„...als die in der Hafenstraße“ hatte man aufgeschrieben. Das ginge auf keinen Fall, sagt Schorsch Kamerun am Telefon. Es gäbe doch nicht die Hafenstraße als solche, das sei viel komplexer. „Sonst lass mich ganz weg“, sagt er.
Schorsch Kamerun hat angefangen als Sänger der Goldenen Zitronen, er hat in geblümten Pyjamas Fun-Punk gesungen und Solidaritätskonzerte für die Hafenstraße organisiert. Heute inszeniert er an der Berliner Volksbühne, an den Münchner Kammerspielen und in Zürich. Gerade hat er den höchsten deutschen Hörspielpreis gewonnen. Er ist aus der Hafenstraße nach München gezogen. Und er ist der Richtige, um zu erfahren, wie man nicht ankommt.
„Superservus Schorsch“ hat er unter seine e-mail geschrieben und dass man sich um 17 Uhr in Berlin treffen könne, allerdings nicht wo. Aber man kann ihn suchen gehen an der Volksbühne, wo er für sein Stück „Der kleine Muck ganz unten – Die Welt zu Gast beim Feudeln“ probt. Der Untertitel heißt „Schorsch Kameruns Überprüfungsrevue“ und überprüft wird der neue deutsche Patriotismus, so heißt es in der Ankündigung. Als Schorsch Kamerun kommt, trägt er einen grauen Pulli mit Rautenmuster und eine Hose mit Punkten. Er sieht den alten Fotos auf den Covern der Goldenen-Zitronen-Platten sehr ähnlich.
Schorsch Kamerun ist in Timmendorfer Strand aufgewachsen, mit einem autoritären Stiefvater, der Unternehmer war. „Wenn man nicht so gut behandelt wird und sich dagegen auflehnt, ist Punk in seiner äußerlichen Formgebung nicht so übel“, sagt Kamerun. Aufgeschrieben hatte man: „... ist Punk nicht so übel“. „Warum reicht das nicht?“ fragt man. „Wenn heute jemand sagt: ,Ich bin Punk‘, lacht man sich doch schlapp“, sagt Schorsch Kamerun. Und dass es damals noch eine Provokation durch Äußerliches gegeben habe. Er stellt sich auch in der Schule quer und macht schließlich eine Lehre als KFZ-Mechaniker. Ausgerechnet bei seinem Stiefvater. „Ich wusste ja gar nicht, dass es noch eine andere Welt gibt“, sagt Kamerun.
Das klingt sonderbar bei jemandem, bei dem heute der Möglichkeitssinn das ist, was zuerst auffällt. Das, was ihn zu einem Experten im Nicht-Ankommen macht. Damals ist er von Timmendorfer Strand nach Hamburg gegangen, hat in verschiedenen Bands gespielt, bis er 1984 mit Ale Sexfeind, Ted Gaier und Aldo Moro die Goldenen Zitronen gründete. Kamerun ist der Sänger. „Ich konnte ja kein Instrument“, sagt er und es klingt nur ein bisschen kokett. Bei ihren Auftritten tragen die Goldenen Zitronen, und vor allem Kamerun, Geblümtes, Schlafanzüge und dazu Turnschuhe.
„Wir wollten etwas Uncooles machen, etwas, was gegen die Kleiderordnung der Autonomen und der Punks und gegen den Rockmännerhabitus ging“, sagt er. Erfolgreich sind sie trotzdem, vielleicht sogar deshalb. „Eine kleine Verunsicherung war es schon“, sagt Kamerun. Sicher ist, dass den Leuten das Lied „Am Tag als Thomas Anders starb“ gefallen hat. Die Single verkaufte sich so gut, dass man den Goldenen Zitronen Kommerzialisierung vorwarf, obwohl sie eben nicht zu einem großen Label wechselten. Im Lied heißt es „Er schloss für immer die Augen und trat für immer ab/ Täglich pinkle ich auf die Blumen von seinem Grab“ und die Frau von Thomas Anders rief an, um sich darüber zu beschweren. Den Goldenen Zitronen war das gleichgültig. Die Bild-Zeitung wollte sie damals interviewen, aber das kam für sie nicht in Frage. Wie auch die Werbung für Zigaretten und später einmal ein Vertrag mit McDonalds, das gern das Kameruns Lied „Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens“ gekauft hätte.
„Ich empfinde mich als politisch denkenden Menschen“, sagt Kamerun. Bei manchen der frühen Lieder braucht man ein bisschen guten Willen, um das Politische zu entdecken. „Ganz doll Schnaps“ zum Beispiel, das auch Bierzelt-Hörer für sich entdeckten, obwohl es doch als Querschläger für die Polit-Punk-Szene angelegt war.
Unfreundlich gesagt, hatten die Goldenen Zitronen, durch das Hafenstraßen-Umfeld sowieso eine Dauereintrittskarte für die politisch richtige Seite. Schorsch Kamerun wohnt nicht in den besetzten Häusern, sondern gegenüber. Einmal, als er von einer Tournee zurückkommt, öffnet ein fremder Mann die Tür. „Danke“, sagt er und nimmt Kameruns Koffer. Als Spende. Denn es herrscht Straßenkampf und das Haus ist in eine Lazarett verwandelt worden. Aber die Rollen wechseln: Beim Solidaritätskonzert im St.Pauli-Stadion ist es die Band, die sich weigert, Westernhagen einzuladen.
Bis dahin, könnte man sagen, ist alles ziemlich vorhersehbar. Fun-Punk, Hafenstraße und die Schlafanzüge, die niemand übel nimmt. Bis Anfang der 90er die politische Haltung der Goldenen Zitronen nicht länger eine Frage der Interpretation, sondern unübersehbar ist. Sie schreiben Stücke wie „Die Bürger von Hoyerswerda und anderswo“, in dem es heißt: „Dem Befinden des Inländers galt diese Sorge, und was aus dem Ruf unserer Wirtschaft wird. Man versäumte auch nicht sauber zu unterscheiden, welche uns nützlich sind und welche uns unnütz sind“.
Schorsch Kamerun gründet mit Rocko Schamoni und dem Wiener-Robert den Goldenen Pudel Club in Hamburg, der eher abgewrackt ist und so erfolgreich, dass gegenüber ein Nobelschuppen eröffnete und demnächst eine Werbeagentur. Er hat mit Schamoni eine Fernsehserie auf 3sat, dem Kultursender, und er nimmt zwei Soloalben auf, „Warum andern schlief“ und „Now: Sex Sex Image“. „Die beiden Platten gelangen mir, milde ausgedrückt, unterschiedlich“.
Kamerun hat ein sehr entspanntes Verhältnis zum Scheitern, zum eigenen wie zu dem anderer. Er hatin Christoph Schlingensiefs „Attabambi-Pornoland“-Inszenierung mitgespielt, die er im Nachhinein „drübergezaubert“ findet. Es hieß einmal „schlimm“, aber Kamerun findet „drübergezaubert“ besser. „Das ist doch herrlich“, sagt er. Eine Wortschöpfung extra für Schlingensieffs Konzentration aufs Drumrum.
Vier Tage nach der Volksbühnen-Premiere sagt Kamerun, dass die Kritiken ambivalent waren. „Kann ich verstehen“, sagt er und dass es doppelt gefährlich sei, eigene Texte auf die Bühne zu bringen. „Ich will zeitgemäß etwas hinkriegen“, sagt er. Also nicht eine neue Form für Tschechow finden, sondern etwas ganz Neues machen. Er sagt, dass es nicht ganz einfach war mit den Schauspielern. „Aber, so öde es klingt: Ich habe etwas daraus gelernt“. Nämlich? „Dass es am 18. April um 20 Uhr zu einer Aufführung kommen musste“.
Zum Theater gebracht hat ihn die damalige Dramaturgin des Hamburger Schauspielhauses, die erst einen Liedtext und dann Umfangreicheres von ihm haben wollte. Kameruns Stücke sind oft Collagen, Textschnipsel, Interviews, die er aneinander reiht, wie in dem Hörspiel „Ein Menschenbild, das in seiner Summe Null ergibt“, das gerade den Hörspielpreis der Kriegsblinden gewonnen hat. „Kamerun zeichnet das bestürzende Porträt einer Generation, die zwischen Mediengeschwätz, Lifestylemode und Kaufwelt... keine Chance auf authentische Wünsche hat“, schrieb die Jury.
Wenn man es hört, weiß man nicht, ob es arrangierte Aufnahmen oder Alltagsaufnahmen sind, es gibt keinen Sprecher, der einen an die Hand nähme, sondern eine Reihe von Stimmen, die ihre Geschichten erzählen: Einen Mann, der sagt, dass man ihn besser nicht draußen befrage, weil er dann zwanghaft die Passanten zählen müsse, einen anderen, der von einer Gruppe erzählt, die einen als Tiger verkleideten Verkäufer in den Tod hetzt.
Und dann ist da noch ein Mann, der die Geschichte von Lonesome George erzählt, eines uralten Schildkrötenmännchens, das sich nicht paaren will, obwohl doch das Fortleben seiner Art davon abhängt. „Das Tier will die Freizeitangebote nicht wahrnehmen“, sagt der Mann. „Es hat etwas begriffen.“ Und er klingt sonderbar getröstet dadurch. Schorsch Kamerun hat das Stück im WDR-Sendesaal mit Schauspielern und Schauspielerinnen vorgelesen. Es gibt ein Foto davon, auf dem sie sich verbeugen. Die anderen tragen Alltagssachen, Schorsch Kamerun trägt ein langes pailetten-besetztes Abendkleid.
Die Kleider also sind geblieben, wie auch die Goldenen Zitronen, wenn auch in veränderter Besetzung. Geblieben ist das Interesse an Texten und Theorien, auch an schwer verdaulichen, geblieben ist das Interesse an sozialen Verhältnissen, genauer: sozialen Unterschieden.
Kamerun geht nicht mehr so oft in Kellerclubs, nicht aus ideologischen Gründen, sondern weil er genügend von ihnen gesehen hat. Jetzt, wo er in München lebt, besucht er Gasthäuser und eine Kneipe, in die auch normale Menschen kommen, wie er sagt. Bei längeren Tourneen nimmt er jetzt ein Einzelzimmer, weil er sich unterwegs leicht erkältet, was beim Sänger problematisch ist. Er findet Subventionen für Kultur in Ordnung, jetzt, wo es keine anderen Orte mehr gibt, an denen man sich ausprobieren kann, ohne es mit Camel-Werbung bezahlen zu müssen. Es klingt nach kleinen Veränderungen.
Als die Goldenen Zitronen ihre letzte CD, „Lenin“, in Rumänien aufgenommen haben, hat Schorsch Kamerun bei McDonalds ein Paar gesehen, das dort den gesamten Nachmittag vor einer Cola verbrachte, weil mehr zu teuer gewesen wäre. Das Paar hat die Cola sehr langsam getrunken, um möglichst lange in dem sauberen McDonalds Restaurant mit den gepflegten Toiletten zu sitzen. So zumindest hat es sich Schorsch Kamerun erklärt, der sagt, dass er in Rumänien etwas darüber verstanden hat, wie es sich mit Arm und Reich verhält.