: Aus Grau mach weißer
Die „Zitty“ wird 30, bekommt ein neues Layout und erinnert sich an ihre Kernthemen. Ein Rückblick
VON ANDREAS BECKER
Die Zitty war immer diese graue Altpapierstadtzeitung und damit auch immer schon ökologisch, alternativ und irgendwie links. Der Konkurrent Tip, der immer schon mehr Auflage hatte, war Kommerz – weil zu weiß. So beeilt sich der alte neue Chefredakteur Matthias Kalle heute zu sagen, das Papier sei zum Relaunch zwar weißer, aber nicht unökologischer geworden.
Die erste Ausgabe des Magazins 1977 war, bis auf das Titelblatt, brav schwarz auf grau. Am selbst gebauten Leuchttisch zusammengeschnippelt, erinnerte das Layout an bessere Flugblätter, die Textsorten schwankten zwischen Bekennerschreiben und Besinnungsaufsatz. Wenn man heute im Zitty-Haus am Tempelhofer Ufer, wo sämtliche Titel das Treppenhaus verzieren, die in roten Ordnern zusammengehefteten ersten Ausgaben durchblättert, erscheint die Bandbreite der Themen in den letzten Jahren ausschließlich dem Verschwinden der großen Politbewegung geschuldet.
Heute wird eine Autobahn zum Ostkreuz quer durch ein Laubenpiepergebiet und den Treptower Park lautlos beschlossen und gebaut. Damals aber stand „BI“ noch für „Bürgerinitiative“ und nicht für irgendwas mit Sex. Zu jedem größeren Projekt gab es eine BI, und jede BI versuchte, in der Zitty zu sein – BIs gegen zu doll stinkende Kaffeeröstereien oder gegen die Bundesgartenschau in Britz. Die Lichterfelder „BI Kadettenweg 64“ zeichnet 1977 ihre „Selbstdarstellung“ im Heft mit einer revolutionären schwarzen Rose. Im Herbst 77 veröffentlicht die Zitty den großen RAF-kritischen Text „Werden, was wir hassen“, der von der Redaktion distanziert als Essay und reine Meinungsäußerung angekündigt wird. Vielleicht auch aus Angst vor den Lesern. Zitty-Leser konnten nämlich immer schon streng sein. Wegen einer hübschen, bunt angepinselten Nackten mit Sonne auf dem Busen stürmten Frauen 1983 die Redaktion. Und auch als Jana Pallaske sich 2004 ironisch ein Foto mit Riesenbrüsten vor den Oberkörper hält, gab’s noch empörte Leserpost.
Durch die Achtziger hindurch bleibt die Zitty noch dezidiert politisch. Man findet schlimm, dass der Innensenator es nicht schlimm findet, dass Klaus Jürgen Rattay bei einer Hausbesetzerdemo überfahren wird, und verleiht ausgerechnet Berlinale-Chef Moritz de Hadeln einen „Lenin-Orden“. Die schnuckelige Westberlin-Welt ist noch in Ordnung. Im Programmteil steht Radio 100 neben der „Stimme der DDR“, und die Red Hot Chili Peppers passen noch ins winzige Loft. Ein gewisser Fil taucht mit einem Comic auf, der dermaßen un-pc ist, dass man ihm wie aus Rache an sich selbst drei Farbseiten schenkt.
Anfang der Neunziger bricht bei der Zitty eine finstere Epoche an: Die Aufmacherthemen pendeln zwischen Künstler-Selbstmorden, Autos als Waffe, Gewalt an Schulen, einsamen Kindern und Gerburg Treusch-Dieter, die sich über den Hirntod auslässt. Die Zitty verweigert sich Techno-Exzessen genauso wie neuen Freizeitmöglichkeiten am Müggelsee. Und in jüngster Zeit wurde es noch beliebiger. Chefredakteurin Mercedes Bunz hievt Titel wie I love Mitte oder Neue Berliner Jungs ins Blatt. Die Auflage sinkt. Der inhaltliche Abstand zum Tip schmilzt.
Jetzt ist, nach einem Ausflug zu Vanity Fair, der 32-jährige Matthias Kalle als Chefredakteur zurück. Natürlich, die Auflage, die runter ist auf 55.000, soll sich möglichst verbessern. Aber der Inhaber, Zeit- und Tagesspiegel-Verlag Holtzbrinck, baue kein Drohszenario auf, so Kalle. Trotzdem: Das Heft erstrahlt ab der heutigen Ausgabe neu wie nie. Das Layout präsentiert sich tatsächlich frischer, überraschender, bunter; merkwürdige freie Flächen sind weg. Als hätte man mehrere Generationen Layout-Software übersprungen. Kalle sagt, man wolle beim kreativen Layout der Frühzeit anknüpfen. Inhaltlich ist man wieder öko („Grünes Erwachen“), politisch auch mit einem Ströbele-Interview und Underground mit einer Tour durch teils illegale Glücksspielhöllen. Kolumnen wie die von Biller, Sönkes Sparshow, Hausnummer Eins und Berlin Brutal sind verschwunden.
Störend nur: Die „ABCs“ stehen jetzt vorm Terminkalender, gefühlte drei Seiten pro Kultursparte wirken geizig. Und der Titel kommt mit dem Wort „Berlin“ hinterm nicht mehr roten Logo ungewohnt daher. Vielleicht will man mehr Kulturtouristen ansprechen. Gleichbleibend toll für den Klemmi unter den Alternativen: die Kleinanzeigen. „Friseuse schneidet Haare in Dessous“ oder „Junger Mann strippt und putzt kostenlos für Frauen“ – das liest man auch auf fast weißem Papier gern.