: Blaue Augen für alle
Seit gestern ist die EU-Beschwerde des Privatfunks gegen das deutsche Rundfunkgebühren-System offiziell gescheitert. Doch das Verfahren hat die Medienlandschaft stärker verändert, als es scheint
Der langjährige Vorsitzende des Privatsenderverbandes VPRT und ehemalige Sat.1-Geschäftsführer agiert nun gewissermaßen als Bewährungshelfer: „Der VPRT wird genau darauf achten, dass die Vereinbarung vom Dezember 2006 nicht im öffentlich-rechtlich Unverbindlichen verschwinden“, sagt Doetz – zunächst gebe es aber auch von seiner Seite „Goodwill“.
Der VPRT fürchtet vor allem die digitale Konkurrenz von ARD und ZDF – der geplante Ausbau des bereits existierenden ARD-Digitalablegers Eins Extra Richtung vollwertiger Nachrichtenkanal dürfte schließlich die privaten News-Sender n-tv und N 24, deren Lage schon heute nicht eben rosig ist, weiter unter Druck setzen. Doetz sind die jetzt vorgesehenen Kriterien zur Prüfung neuer Digitalkanäle zu allgemein gehalten, da lediglich geprüft werden soll, ob diese den „demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen einer Gesellschaft“ entsprechen. Außerdem warnt der VPRT angesichts der bald nicht mehr gedeckelten Online-Aktivitäten in bewährter Routine vor „ungehemmter Expansion“ und fordert eine „klare Definition des Auftrags und damit eine Beschränkung“ ebenjener.
Denn bei allem Goodwill ist für Doetz klar: „Wir haben uns nicht seit vier Jahren in dieser Angelegenheit engagiert, um uns jetzt abspeisen zu lassen.“ Würden die Auflagen nicht konsequent umgesetzt, scheue der VPRT „nicht den erneuten Gang nach Brüssel“. STG
Gestern kam das lang ersehnte, verspätete Weihnachtsgeschenk für ARD und ZDF aus Brüssel an. „Die Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten wird auf das Maß beschränkt, das zur Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags erforderlich ist“, erklärte die zuständige Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes. Will heißen: Die EU-Kommission wird die deutsche Rundfunkgebühr nicht als unerlaubte Beihilfe bewerten, auch die etwas komplexe Aufhängung mit den sich selbst regulierenden, staatsfernen Sendeanstalten unter der Rechtsaufsicht der Bundesländer wird – mit Auflagen – hingenommen. Sie sollen für mehr Transparenz besonders bei den kommerziellen Aktivitäten der Öffentlich-Rechtlichen sorgen.
Ohne das Beihilfeverfahren gäbe es ihren Posten wohl gar nicht: Als Generalsekretärin koordiniert die Juristin Verena Wiedemann seit Juli 2006 die strategische Positionierung der ARD. Wo im Programm- und Personalbereich Günter Struve über die langen Jahre seiner Regentschaft die Macht bei sich konzentrierte, trat im Zuge der VPRT-Beschwerde ein Vakuum bei der Medienpolitik und -strategie zu Tage. Bei wem sollte die Kommission anrufen, wenn sie einen Überblick über die Gremienstruktur oder über die Verflechtungen der Produktionstöchter haben wollte?
Als langjährige Leiterin des ARD-Verbindungsbüros in Brüssel empfahl sich Wiedemann für den Job – und schuftet seitdem sowohl hinter den Brüsseler als auch den Berliner Kulissen. Wenn die 48-Jährige jetzt verkündet, dass die ARD künftig Rechtssicherheit habe und weitere Klagen des VPRT keine Chance mehr in Brüssel hätten, dann spielt sie sowohl die Zugeständnisse der Öffentlich-Rechtlichen als auch ihren eigenen Einsatz herunter.
Allerdings erhielt Wiedemann bei ihrer Arbeit auch Schützenhilfe aus ungewohnter Ecke: Durch den Schleichwerbe-Skandal bei „Marienhof“ und Co. stand die ARD seit 2005 ohnehin unter Druck, ihre kommerziellen Aktivitäten deutlicher von den öffentlich-rechtlichen zu trennen und die Aufsichtsgremien zu stärken. Beim ZDF – so tönt es aus dem Ersten halb frohlockend, halb besorgt – sei man da noch lang nicht so weit. HPI
Vor allem die deutschen Privatsender – vertreten durch ihren Lobbyverband VPRT – hatten das Brüsseler Verfahren seit 2003 befeuert, noch bis in den Herbst 2006 hinein blieb eine Einigung ungewiss. Erst im Dezember war der Kompromiss gefunden. Die zwischen der EU und den für Rundfunkfragen zuständigen Bundesländern ausgehandelten Eckpunkte erlauben den Öffentlich-Rechtlichen, nun ihr digitales Angebot auszuweiten. Gestattet sind ARD und ZDF jeweils drei digitale Zusatzkanäle mit den Schwerpunkten Kultur, Bildung und Information. Neue Kanal-Planungen müssen stärker als bisher von den Anstaltsgremien auf ihre Sinnhaftigkeit überprüft und genehmigt werden. Die bisherige Beschränkung der Online-Ausgaben bei öffentlich-rechtlichen Sendern auf 0,75 Prozent der Gebühreneinnahmen fällt. Die Obergrenze für Sportberichterstattung wird auf 10 Prozent des Gesamtprogramms festgeschrieben. Wenn ARD und ZDF ganze Sportpakte kaufen, müssen sie Rechte, die sie selbst nicht nutzen wollen, auch kommerziellen Sendern anbieten (Sublizenzierung).
Kommerzielle Aktivitäten der Sender wie der Werbezeitenverkauf sind grundsätzlich getrennt vom öffentlich-rechtlichen Betrieb zu führen. Die EU-Auflagen müssen bei der Formulierung des Rundfunkstaatsvertrags in den kommenden zwei Jahren festgeschrieben werden. STG
Seit der rheinland-pfälzische Ministerpräsident nebenbei noch den Parteivorsitzenden im Bund gibt, ist beim obersten SPD-Medienpolitiker die Zeit für seine Rolle als Rundfunk-Volkstribun etwas knapper geworden. Dennoch gebührt Beck und seinem Unions-Partner Edmund Stoiber (CSU) das Verdienst, in der entscheidenden Phase auf die EU-Kommission eingewirkt zu haben. Denn die stand bis zum Sommer 2006 dem öffentlich-rechtlichen Modell deutscher Prägung um einiges kritischer gegenüber, als es im gestrigen Bescheid aufscheint. Im Dezember wurde also nochmals Brüssel bereist, und plötzlich war der Durchbruch da – von manchen Experten auch als Zugeständnis an die deutsche EU-Präsidentschaft ab Januar 2007 gewertet.
Nun sieht Beck wie zu erwarten die „Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit“ von ARD und ZDF gestärkt, man habe endlich ein „geordnetes Nebeneinander von öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk“. Beck betonte auch noch mal ausdrücklich, dass sich die Länder für die Öffentlich-Rechtlichen und die Privaten verantwortlich fühlten. Das zumindest sehen die Privatfunk-Vertreter anders: Gerade wegen des Drucks der Bundesländer sei die Kommission der Diskussion ausgewichen, „wo die Rundfunkfreiheit für ARD und ZDF in den freien Wettbewerb eingreift“, sagt VPRT-Chef Doetz – denn die föderale Struktur vor allem der ARD wecke nun mal traditionell Begehrlichkeiten bei der Landespolitik. STG