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Archiv-Artikel

Gebrauchte Herzen und Nieren gesucht

Weil sie kein Spenderorgan erhalten, müssen in Deutschland jährlich 1.000 Menschen sterben. Der Nationale Ethikrat schlägt vor. Schweigen ist künftig als Zustimmung zur Organspende zu werten. So soll die Zahl der Spenderorgane erhöht werden

AUS BERLIN ANNA LEHMANN

Der Anruf kann heute kommen oder in drei Jahren. Gerhard Tabatt hat sein Handy vorsorglich immer dabei. Tabatt hat keine funktionierende Niere mehr. Deshalb muss er dreimal wöchentlich ins Krankenhaus, wo ein Dialysegerät die Funktion der Nieren übernimmt. Seit fünf Jahren wartet Tabatt auf eine Spenderniere. Die Warteliste ist lang.

Fast 9.000 Menschen warten nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation derzeit auf eine Spenderniere, doch pro Jahr werden nicht einmal 3.000 Nieren transplantiert. Bei anderen Organen wie Herz, Lunge und Leber ist die Situation ähnlich. Der nationale Ethikrat schätzt, dass jährlich etwa 1.000 Menschen sterben, weil sie nicht rechtzeitig mit einem Ersatzorgan versorgt werden können. Die 25 Wissenschaftler, die dem Rat als ständige Mitglieder angehören, haben deshalb bei der Regierung eine Stellungnahme eingereicht, wie die Zahl der Spender vergrößert werden kann.

So schlägt der Rat vor, die Hürden für Organentnahmen zu senken. Zurzeit kann man seine Organe nur weitergeben, wenn man das zu Lebzeiten schriftlich kundgetan hat oder die Angehörigen nach dem Tod ihre Zustimmung geben. Der Ethikrat schlägt vor, Organe auch dann weiterzuverwenden, wenn kein Widerspruch vorliegt. In Österreich oder in Belgien, wo dies so praktiziert wird, ist die Anzahl der gespendeten Organe deutlich höher als in Deutschland. Nur 12 Prozent der Deutschen besitzen einen Organspendeausweis. „Alle Menschen sollten in regelmäßigen Abständen eine Erklärung abgeben, ob sie zustimmen oder nicht. Bei denen, die sich nicht äußern, sollte das als Zustimmung gewertet werden“, erläutert Jochen Taupitz, Mitglied des Ethikrats. So könnte zum Beispiel gleich nach der Fahrprüfung im Führerschein eingetragen werden, ob jemand einverstanden ist, Organe zu spenden.

Ein weiterer Grund für den Organmangel ist die zögerliche Meldebereitschaft der Kliniken. Nicht einmal die Hälfte aller Kliniken mit angeschlossener Intensivstation meldet potenzielle Organspender. Der Aufwand für die Klinik ist nämlich erheblich, die Belohnung kärglich. Stirbt jemand, der als Organspender in Betracht kommt, dann melden die Ärzte dies an die Deutsche Stiftung Organtransplantation. Diese schickt ein Neurologenteam vorbei, das den Hirntot feststellt. Diese Prozedur dauert etwa 24 Stunden, danach wird die europäische Vermittlungsstelle für Organe, Eurotransplant, benachrichtigt, die potenzielle Empfänger informiert. Die Organe des Spenders werden herausoperiert, erst danach werden Herz- und Lungenmaschinen abgestellt.

„So ist ein Bett auf der Intensivstation für ein bis zwei Tage belegt“, erläutert Jan Schmidt, Leiter des Instituts für Organtransplantation der Uni-Klinik in Heidelberg. Den Verdienstausfall bekommen die Kliniken oft nur teilweise erstattet. „Das führt zu einer gewissen Vermeidungshaltung“, sagt Schmidt. Die Kliniken müssten zumindest eine angemessene Kompensation erhalten, meint Schmidt. Das schlägt auch der Ethikrat vor.

Ein Herz könnte so vier Stunden später schon wieder in einem anderen Menschen schlagen. Mehr Zeit bleibt nämlich nicht. Eine Niere muss erst nach 24 bis 30 Stunden wieder durchblutet werden. Eine gelungene Nierentransplantation bedeutet einen klaren Überlebensvorteil, schreibt der Ethikrat in seiner Stellungnahme. Ein Patient lebt länger als an der Dialysemaschine. Als er neulich in Hannover war, erzählt Gerhard Tabatt, sagten die Ärzte, es bestehe Hoffnung, dass er bald an der Reihe sei. „Bis dahin muss man sich mit der Situation abfinden.“