: Die Farbe und der Faltenwurf
Es liegt am Betrachter, wie viel er sieht: Gerwald Rockenschaub, prämiert mit dem Fred-Thieler Preis für Malerei, in der Berlinischen Galerie
VON KITO NEDO
Gerwald Rockenschaub will die Dinge einfach halten. An einem sonnigen Mittag sitzt der fünfundfünfzigjährige Künstler in seinem sehr aufgeräumten Atelier in Berlin-Mitte und versucht, nicht zu viele Worte um seine Kunst zu machen. Gerade ist dem gebürtigen Österreicher, der seit Ende der Neunzigerjahre in Berlin lebt, der „Fred Thieler Preis für Malerei“ verliehen worden. Mit der Preisübergabe wurde in der Berlinischen Galerie seine Installation „new season beauty (1)“ eröffnet, die mit Malerei im herkömmlichen Sinne wenig gemein hat.
Statt Leinwände zu präsentieren, hat Rockenschaub einen neun Meter hohen Saal mit einfachsten Mitteln in eine Art Bühne verwandelt, auf der die Besucher vor allem sich selbst betrachten können. „new season beauty„ besteht lediglich aus zwei Elementen: einem reichlich neun Meter langen und ebenso hohen, halbdurchsichtigen Vorhang und einer gigantischen purpurroten Wand, die sich auf einundzwanzig Metern in die Tiefe des musealen Raumes erstreckt. Der Vorhang teilt die Fläche elegant in ein Davor und ein Dahinter und vervielfältigt die Möglichkeiten der Blicke in und auf die Situation. Es bleibt dem einzelnen Besucher überlassen, wie sehr er sich in die Bewegungen der anderen Betrachter, das Spiel des Lichts, der Farbe und ihrer Brechungen im Faltenwurf des Stoffes vertiefen möchte: ob es also viel oder wenig zu sehen gibt.
Räume und ihre Rückkoppelung mit der eigenen Kunst sind das große Thema im Werk Rockenschaubs. Für ihn gibt es wahrscheinlich nur wenige Orte, zu denen ihm nichts einfallen würde: „Wenn ich für ein Projekt eingeladen werde, dann schaue ich mir den Raum genau an – selbst wenn ich ihn schon kenne. Ich sehe mir den Ort daraufhin an, was man da machen könnte. Meistens habe ich sofort eine Idee.“ In der Berlinischen Galerie seien es eher unscheinbare Details wie der Betonträger an der Decke oder die Notausgangstür gewesen, die ihn zu der theatralischen Inszenierung reizten – der Träger dient nun als elegante Aufhängung für den Vorhang, und die Tür sieht aus, als hätte man sie extra für die Ausstellung in die Museumswand gestemmt: als eine Art Bühnenausgang.
Auch wenn der Künstler seine Installationen im Voraus mit Architekturprogrammen auf dem Rechner in seinem Atelier simuliert – mit der Arbeit eines Architekten hat all das wenig zu tun: „Meine Arbeit handelt von Architektur oder reflektiert Architektur, aber ich gehe da nicht heran wie ein Architekt, sondern wie ein Künstler.“
Als gewieften Verstärker architektonischer Gegebenheiten und Konstrukteur neuer Sichtweisen ist Rockenschaub spätestens seit seiner Arbeit für den österreichischen Pavillion auf der Biennale in Venedig 1993 bekannt. Dort zog er auf Einladung von Peter Weibel mit standardmäßigen Metallbaugerüsten einen völlig neuen Parcour für die Besucherströme ein, was das Haus und dessen Wahrnehmung beträchtlich veränderte. Nicht anders erging es ein paar Jahre später dem Café der Leipziger Galerie für zeitgenössische Kunst, das Rockenschaub für zwei Jahre in einen minimalistischen Diner umkrempelte, der die Besucher selbst im heißesten Sommer ein bisschen frösteln ließ. Seit bekannt wurde, dass der Künstler auch bei der diesjährigen documenta 12 in Kassel dabei ist, munkelt die Kunstszene nun erwartungsvoll von „spektakuläreren Arbeiten“, für die ihn sein Landsmann Roger M. Buergel eingeladen habe. Doch Rockenschaub wiegelt ab: „Da sind verschiedene ältere Arbeiten von mir zu sehen, speziell für die documenta fertige ich nur eine Arbeit an.“.
Richtig gesprächig wird der Künstler erst, als er mal nach etwas anderem als seiner Kunst gefragt wird, zum Beispiel seinen aktuellen Lieblingsplatten. Da kramt er plötzlich CDs des Berliner Ambient-Elektronikers Pole, des französischen Hiphop-Trios TTC, des kanadischen House-Produzenten Frivolous, des Finnen Luomo oder eine Triple-CD-Box des holländischen Experimental-Elektronikers Dick Raaijmakers hervor. Ob er denn noch immer selbst auch elektronische Musik produziere? „Ja“, lautet die Antwort etwas wehmütig, „aber im Moment habe ich nicht so richtig Zeit dafür.“
Gerwald Rockenschaub, Berlinische Galerie, Alte Jakobstraße 124–128, tägl. außer Di 10–18 Uhr, bis 20. August