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Archiv-Artikel

Ein Mann, ein Markt

KULT In einem Bremer Spar-Markt treffen sich Müllermilchfans und Veganer bei Trance-Musik. Und der Chef bloggt

Harstes Welt

■  Die Stadt: Am Sonntag ist in Bremen Landtagswahl. Die Stadt ist arm und auch irgendwie sexy, aber so klein, dass man sie manchmal vergisst. Eine Haushaltsnotlage lähmt die Stadt, deren Bewohner mitunter aus alter Handelstradition sehr, sehr reich sind.

 Der Laden: Björn Harstes Supermarkt liegt in Bremen-Neustadt. Der Stadtteil ist in den letzten Jahren beliebter geworden, als Alternative zum „Viertel“, einer Art Klein-Kreuzberg.

 Der Blog: Auf shopblogger.de schreibt Björn Harste über den Alltag zwischen Kasse und Leergut. Er sammelt zum Beispiel Fotos von Spar-Märkten aus aller Welt.

VON LUISE STROTHMANN

Mittlerweile hat Björn Harste auch eine Autogrammkarte. Es hatten ihn immer mal wieder Leute danach gefragt, bisher unterschrieb er auf einer 70-Gramm-Schokoladentafel.

Aber als letztens sowieso mal ein Foto gemacht wurde – Harste im Einkaufswagen liegend, die Hände über dem Bauch verschränkt, zwischen zwei Regalreihen, Tütensuppen rechts, Majonnaisegläser links – da hat er am Computer seinen Namen daruntergesetzt, es auf Fotopapier entwickeln lassen und mit Filzstift signiert.

Björn Harste besitzt einen Spar-Markt in Bremen. Ein Stück mag es die Einfachheit dieses Satzes sein, die Romantisierung einer Realität, in der es neben Büros noch andere Arbeitsumfelder gibt, die dazu geführt hat, das Björn Harste plötzlich Fans hatte. Kult wurde. Seit sechs Jahren schreibt er in einem Blog über seinen Berufsalltag, shopblogger.de, die Seite wird 30.000-mal am Tag angeklickt. Im Internet ist Björn Harste ein Star.

In seinem Geschäft in Bremen-Neustadt ist seine Unterschrift krakeliger und weniger beachtet. Hingeworfen auf einen Schnipsel Papier. Ganz hinten, an der Tür zum Getränkelager, reißt Harste den Pfandbon aus der Kasse, unterschreibt und gibt ihn dem Mittzwanziger, dessen Flaschen gerade im Leergutautomaten hängen geblieben sind. Harste dreht sich um, greift im Vorbeigehen eine Kiste, sagt: „Das Band ist voll“, stellt sich an die Ablage, auf der die Mehrwegflaschen ankommen, und sortiert sie ein. Das Glas klirrt, ein Automat zerdrückt knirschend die Einwegflaschen. Harste muss sich beeilen, die Kunden werden schnell ungeduldig.

In einem Laden passiert immer irgendetwas. Björn Harste mag das. Er ist 37 Jahre alt, trägt rote Weste mit Namensaufnäher über dem kurzärmeligen Hemd, seine Arme sind voller Sommersprossen. Supermärkte sind Harstes Leidenschaft. „Gegessen wird immer“, sagt er. Und: „Wir wollten uns von Anfang an unterscheiden.“ Als er mit 27 sein eigenes Geschäft eröffnete, dachte er zuerst: Gegenüber Discountern kann man durch Service auffallen. Die Kundin direkt zum Wunschprodukt führen, wenn sie etwas sucht. Lieferservice gegen Aufschlag, Kühltaschenverleih. Er dachte sich Dienste wie den „Blitzkauf“ aus: Kunden können ihren Einkaufszettel abgeben und etwas erledigen, der Korb wird zusammengestellt, zum Bezahlen kommen sie zurück. Bis zum vergangenen Jahr hatte er sechs Tage die Woche 24 Stunden geöffnet, dann wurde ihm das abendliche Dienstplanchaos zu groß, seitdem ist nur noch von sechs Uhr morgens bis Mitternacht geöffnet. Wenn es spät wird, spielt er über den Ladenlautsprecher Trance-Musik.

Nach einiger Zeit fragten die ersten Leute nach Fairtradeartikeln, nach Bio und regionaler Ware, dem türkischen Blätterteig, den englischen Chips. Bei Björn Harste setzte das Briefmarkensammlersyndrom ein. Er begann sich zu informieren, zu bestellen, auszuweiten. Irgendetwas ist mit ihm durchgegangen. Jetzt hat er zwanzig Sorten Söbbecke-Biojoghurt, vierzig Sorten Voelkel-Biosaft, hundert Sorten Zotter-Fairtradeschokolade. Aber: Sein Supermarkt sieht weiter aus wie ein Supermarkt, viele, die dort einkaufen, merken den Unterschied nicht. Es ist auch keine heile Biomarktwelt, es gibt die Bild, Müllerjoghurt und Jacobskaffee. Er ist ein Beispiel dafür, dass das Lustprinzip funktionieren kann: Ich mache mir meinen Markt, wie es mir gefällt.

„Haben Sie mal den Schlüssel?“, fragt die Kundin, als Harste am Kühlregal vorbeiläuft. Die teuren veganen Produkte – Schnitzel-, Salami-, Bratwurstimitate – sind hinter Glas verschlossen. „Sie wurden ständig geklaut“, sagt Harste. Er schließt auf, schließt zu, eilt weiter. Die Kunden haben sich daran gewöhnt, dass sie fragen sollen. Ob er – Entschuldigung, Lesebrille vergessen – vorlesen könne, woher dieses Produkt komme? Wo man, wenn nicht hier, Maracujasaft dieser einen bestimmten Sorte bekomme? Ob Kekse den Cholesterinspiegel ansteigen lassen? Und wann er endlich Marmelade mit 70 Prozent Fruchtanteil ins Sortiment nehme?

Bei Björn Harste setzte das Briefmarkensammlersyndrom ein. Er begann zu bestellen, auszuweiten

Sein Viertel, die Neustadt, ist ein bisschen wie die ganze Stadt in Klein. Altbremer, Studentinnen, Bildungsbürgertum, Multikulti, Alternative. Bewohnerinnen und Bewohner eines Bundeslandes, in dem die Wiederwahl der rot-grünen Regierung an diesem Wochenende so selbstverständlich ist, dass der Rest Deutschlands den Wahltermin fast vergessen hat. In Björn Harstes Laden steckt Bremen, so wie es wählt. Viel SPD – jedenfalls die alte SPD mit bodenständigem Beruf und Verantwortung für die Mitarbeiter; die Grünen als zweitstärkste Kraft – mit Sojaschnitzeln und Biobrause; ein Schuss CDU – Harste würde sich freuen, wenn die Gerichte Ladendiebe härter bestrafen würden; eine Prise Linke – die Möglichkeit, auch mal die Tiefkühlpizza zu nehmen, um den Öko am Veganerregal zu ärgern. Und ein Rest FDP – der Markt! der Unternehmergeist! – zu beschäftigt, um ins Parlament zu kommen.

„Friedliche Koexistenz“, sagt Harste. Er hat sich in sein Büro zurückgezogen, wo das Keybord steht, auf dem er ab und zu abends spielt, und das Terrarium mit drei kleinen Lurchen. Hier hinein kommt selten ein Kunde, sonst nur Mitarbeiter, die Geschichten von der Kasse mitbringen.

Und Viktor Leuchtenberger, der ist immer da. Vor zehn Jahren, als er 15 Jahre alt war, kam seine Mutter im Laden vorbei. Ob sie jemanden gebrauchen könnten für Inventur oder so? Leuchtenberger arbeitete dann eine Zeit lang im Supermarkt. Heute hat er eine andere Stelle, ist aber trotzdem fast jeden Tag da. Hilft, wenn Björn Harste einen Videoclip über den Tag im Supermarkt für sein Blog dreht. Zieht sich an Halloween eine Maske über und erschreckt im verdunkelten Geschäft Kunden. „Der gehört zum Inventar“, sagt Harste.

Bei ihm hatte es auch so angefangen. Mit einem Zettel: Schüler oder Rentner für Reinigungstätigkeiten gesucht. Sechs Stunden fegte er neben der Schule den Parkplatz, stieg zur Lehrgutannahme auf, gehörte dazu. Es war während des Fachabiturs, gerade kam die Frage auf, was er mit seinem Leben anfangen sollte, da merkte er, dass das mit dem Supermarkt genau sein Ding ist.