: Trauer um Jelzin und Russlands Demokratie
Die Beisetzung Boris Jelzins geriet in Moskau auch zum stillen Protest gegen die heutige Führung des Kreml
MOSKAU taz ■ Die Trauerfeierlichkeiten für Boris Jelzin waren mehr als nur ein Staatsbegräbnis. Die USA schickten eine der größten Delegationen nach Moskau, die die beiden früheren Präsidenten Bill Clinton und George Bush senior anführten. Auch die drei baltischen Nachbarn wurden durch hochrangige Delegationen und zwei Staatschefs vertreten. Es war eine Geste, die sich auch an die Machthaber im Kreml richtete. Seit Wladimir Putin das Ruder übernahm, sind die Beziehungen zu Washington und den EU-Staaten im Baltikum auf den Gefrierpunkt gesunken.
Die Totenmesse fand in der Christus-Erlöser-Kirche in Moskau statt. Der kommunistische Diktator Stalin hatte in den 30er-Jahren die Kirche abreißen lassen. Jelzin ließ das Gotteshaus als Zeichen der russischen Wiedergeburt in den 90er-Jahren neu errichten. Tausende von trauernden Bürgern waren zuvor am aufgebahrten Sarg Jelzins vorbeigezogen. Lange Schlangen bildeten sich vor der Kirche. Auch nach der Messe stauten sich in den Seitenstraßen Menschenmassen, die dem Verstorbenen das letzte Geleit geben wollten. Niemand hatte mit einer so breiten Anteilnahme gerechnet, nachdem der frühere Kremlchef 1999 zur Erleichterung der Mehrheit der russischen Bürger aus dem Amt geschieden war und von vielen für das Chaos der 90er-Jahre verantwortlich gemacht wurde. Niemand sprach es aus: Das breite öffentliche Mitgefühl war auch ein stiller Protest gegen den Kreml, der die demokratischen Errungenschaften Jelzins mit Stumpf und Stiel beseitigte. Oppositionelle Veranstaltungen solchen Ausmaßes sind auf legalem Wege in Russland nicht mehr möglich, seitdem ein neues Extremismusgesetz verabschiedet wurde.
Jelzin ließ sich auf dem Jungfrauenfriedhof beisetzen, den er als Erster Parteisekretär Moskaus vor zwanzig Jahren der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht hatte. Die KPdSU hatte den Friedhof nach der Beisetzung Nikita Chruschtschows 1971 schließen lassen. Chruschtschow leitete zunächst die Entstalinisierung und Tauwetterperiode ein, fiel dann 1964 in Ungnade und einem Putsch zum Opfer. Seine Ruhestätte sollte auf keinen Fall zu einer Stätte antikommunistischen Protestes werden. Chruschtschow war der erste Staatschef, der nicht an der Kremlmauer beerdigt wurde. Jelzin folgte ihm nach.
KLAUS-HELGE DONATH
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