: 26 Jahre Warten
Auch die Bundesanwaltschaft kennt seit 1981 die Hinweise auf Wisniewski als Buback-Schützen
Das Parlamentarische Kontrollgremium (PKG) hat den im RAF-Mordfall Siegfried Buback in die Kritik geratenen Verfassungsschutz entlastet. Dies bestätigte der PKG-Vorsitzende Max Stadler (FDP) der taz. Im einstimmig gefassten Beschluss heißt es: „Es wurden keine Übermittlungsversäumnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz festgestellt.“ Die Bundesregierung werde das PKG aber bei der nächsten Sitzung Ende Mai weiter über den Fall unterrichten. Damit gerät die frühere SPD-FDP-Bundesregierung in den Verdacht, 1982 eine entscheidende Zeugenaussage über den Tathergang des Buback-Mords zurückgehalten zu haben. Der damalige Innenminister Gerhart Baum sagte gestern in Spiegel Online, er könne sich „nicht erinnern“, mit dem Vorfall befasst gewesen zu sein. VM
AUS KARLSRUHE CHRISTIAN RATH
Der Verfassungsschutz hat sein Wissen nicht für sich behalten. Die Bundesanwaltschaft (BAW) wusste schon seit 1981, dass das RAF-Mitglied Stefan Wisniewski möglicherweise 1977 die tödlichen Schüsse auf Siegfried Buback abgegeben hat. Dies gab die Bundesanwaltschaft (BAW) gestern auf einer Pressekonferenz in Karlsruhe bekannt. Doch erst am Montag dieser Woche, also rund 26 Jahre später, leitete Generalbundesanwältin Monika Harms ein Ermittlungsverfahren gegen Wisniewski ein.
Ein „kleiner Kreis von Bundesanwälten“ sei damals vom Bundesamt für Verfassungsschutz entsprechend informiert worden, sagte gestern Rainer Griesbaum, der Abteilungsleiter Terrorismus in der BAW. Er wollte nicht sagen, ob auch Bubacks Nachfolger als Generalbundesanwalt, der 2005 verstorbene Kurt Rebmann, dazu gehörte. „Alle Beteiligten sind heute nicht mehr im Dienst“, erklärte er nur. Die Ermittler waren damals vom Verfassungsschutz allgemein über neue Erkenntnisse zu den Strukturen der RAF unterrichtet worden. Unklar blieb gestern, welche Informationen konkret über Wisniewski weitergegeben wurden und aus welcher Quelle diese stammten.
Die Informationen zu Wisniewski flossen bislang in kein einziges Gerichtsverfahren ein, weil der Verfassungsschutz sie damals als „nicht gerichtsverwertbar“ deklarierte. Möglicherweise wollte er damit seine potenzielle Quelle Verena Becker schützen, eine inhaftierte RAF-Angehörige, die nach Informationen des Spiegel ab Anfang der 80er-Jahre dem Verfassungsschutz umfassend Auskunft gab und auch Wisniewski als den Buback-Schützen benannt haben soll.
Die Informationen seien den Bundesanwälten im Umfeld eines kollektiven Hungerstreiks der RAF-Gefangenen im Frühjahr 1981 gegeben worden, sagte Griesbaum. Er selbst will davon aber erst in den letzten Tagen erfahren haben. Nach einer Anfrage des Spiegel habe er einen Prüfauftrag gegeben. Die einstigen Bundesanwälte haben sich also nicht von sich aus gemeldet.
Ein Ermittlungsverfahren wäre damals nicht möglich gewesen, sagte Griesbaum, weil dabei „nur verwertbare Informationen“ verwendet werden dürfen. Außerdem seien die Hinweise des Verfassungsschutzes „dürftig“ gewesen. Schließlich war Wiesniewski Ende 1981 wegen seiner Beteiligung an der Schleyer-Ermordung ohnehin zu lebenslanger Haft verurteilt worden.
In der Debatte über die RAF-Morde der Siebzigerjahre gerät der Verfassungsschutz immer stärker in die Kritik. Der Vorsitzende des Bundestagsausschusses zur Kontrolle der Geheimdienste, Max Stadler, forderte am Mittwoch Lehren aus dem Mordfall Siegfried Buback. Der FDP-Politiker sagte der taz: „Dieser Punkt muss komplett aufgearbeitet werden.“ Er hoffte, gestern eine offizielle Stellungnahme der Bundesregierung zu erhalten.
Ganz ähnlich äußerte sich Dieter Wiefelspütz: „Es muss jetzt alles auf den Tisch“, sagte der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, bezweifelt aber, dass das Kontrollgremium zu schnellen Ergebnissen kommen wird: „Wenn da Akten durchforstet und Quellen gesucht werden, müssen wir uns in Geduld üben.“ TAZ
Monika Harms wies gestern auch den Vorwurf zurück, dass Knut Folkerts, der bis vor kurzem als mutmaßlicher Schütze galt, zu Unrecht verurteilt worden sei. „Eine Wiederaufnahme der 1980 erfolgten Verurteilung von Folkerts war damals nicht angebracht und ist es auch heute nicht“, ergänzte Griesbaum. Das Urteil, in dem der konkrete Tatbeitrag offen blieb, „war nicht falsch“. Folkerts selbst habe 1985 im Prozess gegen Christian Klar geschildert, dass die „Erschießung von Buback“ ein kollektiver Beschluss der RAF gewesen sei. Allerdings seien nur RAF-Mitglieder, die konkrete Tatbeiträge leisteten, wegen des Buback-Attentats verurteilt worden. Gegen Verena Becker und Angelika Speitel seien entsprechende Ermittlungsverfahren zum Beispiel eingestellt worden, betonte Griesbaum.
Knut Folkerts, Christian Klar und Günther Sonnenberg, die bisher als Täter-Trio galten, seien dagegen vor und nach dem Anschlag mehrfach von Zeugen erkannt worden. Zwölf entsprechende Zeugenaussagen zählte Griesbaum gestern auf. Folkerts habe auch kein Alibi für den Tattag. Zwar will ihn die RAF-Angehörige Silke Maier-Witt am Abend in Holland getroffen haben. Der Anschlag aber war morgens. „Diese Entfernung ist machbar“, so Griesbaum. Bei dem Treffen in Holland sei im Übrigen auch Stefan Wisniewski gesehen worden.
Gegen Wisniewski besteht derzeit nur ein Anfangsverdacht. Dieser erlaubt die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, um den Verdacht zu erhärten oder auszuräumen. Ein Haftbefehl wurde nicht beantragt. Weder bestehe dringender Tatverdacht, so Griesbaum, noch Fluchtgefahr. Griesbaum lies durchblicken, dass die Behörde Kontakt zu Wisniewski hat. Als Grund für das Ermittlungsverfahren gab er die Hinweise des ehemaligen RAF-Mitglieds Peter-Jürgen Boock in einem Spiegel-Interview an. „Wir müssen nun prüfen, woher Boock sein Wissen hat“, sagte der Ermittler. Boock wird demnächst als Zeuge vernommen.