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Archiv-Artikel

„Nicht ganz korrekt“

NS-ZEIT Hiltgunt Zassenhaus setzte sich für Inhaftierte ein – doch ihre Biografie ist geschönt

Von ETH
Herbert Diercks

■ 61, beschäftigt sich als Historiker bei der KZ-Gedenkstätte Neuengamme mit Widerstand und Verfolgung in Hamburg.

taz: Herr Diercks, wer war Hiltgunt Zassenhaus?

Herbert Diercks: Zassenhaus war eine Medizin-Studentin, die während des Zweiten Weltkriegs im Zuchthaus Fuhlsbüttel skandinavische Gefangene beaufsichtigen sollte. Tatsächlich half sie ihnen. Sie schmuggelte Stifte, Papier und Lebensmittel ein und setzte sich für Entlassungen von kranken Gefangenen ein. Hunderten rettete sie das Leben. In Norwegen gilt sie bis heute als „Engel der Gefangenen“.

Vor unserem Gespräch hatte ich noch nie von ihr gehört.

Sie sind zu jung. Direkt nach dem Weltkrieg war Zassenhaus zwar in Deutschland weitgehend vergessen. Aber in den 1970ern wurde sie bekannter und erhielt später für ihr biografisches Buch „Ein Baum blüht im November“ sogar den evangelischen Buchpreis. Das Buch wurde damals aber zu unkritisch betrachtet.

Was meinen Sie damit?

Zassenhaus hatte direkt nach dem Zweiten Weltkrieg eine erste Kriegsbiografie geschrieben, wo sie viele Geschehnisse anders schildert als in „Ein Baum blüht“. Im ersten Buch ist es zum Beispiel ein Uni-Dozent, der ihr rät, unterzutauchen, weil ihre Arbeit zu gefährlich wird. Im zweiten kommt der Rat vom Hausarzt. Und im zweiten Buch tauchen viele Menschen auf, die in ihrer Menge eher wie Romanfiguren wirken; die ganze Palette politischer Verfolgung. Was da real ist und was Fiktion, weiß ich nicht. Sicher ist: Auch größere historische Abläufe hat sie nicht ganz korrekt dargestellt.

Welche zum Beispiel?

In dem ersten Buch endet ihre Hilfstätigkeit im Februar 1945. Im zweiten setzt sie ihre Arbeit fort und erfährt von Hitlers Geheimbefehl, laut dem sämtliche Gefangenen zum Kriegsende ermordet werden sollen. Daraufhin mobilisiert sie – so ihre Schilderung – das schwedische Rote Kreuz. Sie stellt es so dar, als hätte sie bei der Aktion „Weiße Busse“, mit der zehntausende Gefangene 1945 nach Skandinavien gebracht wurden, einen Riesenanteil gehabt. Ich bin sicher: Die Rettungsaktion wäre auch völlig unabhängig von ihr gelaufen.

Sie entzaubern den Engel.

Ich will die Leistung von Zassenhaus auf keinen Fall schmälern. An ihrem Verdienst gibt es keine Zweifel. Ich glaube, Zassenhaus schrieb ihr zweites Buch, um das amerikanische Publikum erstmal ganz allgemein historisch in die NS-Geschichte einzuführen. INTERVIEW: ETH

Vortrag „Hiltgunt Zassenhaus – Der Engel von Fuhlsbüttel“ mit Herbert Diercks und Christoph Bitterberg: 18 Uhr, Gedenkstätte Fuhlsbüttel, Suhrenkamp 98