: Die Triebkraft Wut
Von Vietnam in die Banlieue: Das 3. Gallery Weekend Berlin verspricht die Rückkehr politischer Kunst
Fast 30 Galerien laden von heute bis zum 30. April zu einem verlängerten Wochenende ein und präsentieren spannende Zugpferde ihres Programms: Jonathan Monk ist bei Mehdi Chouakri zu sehen, Jeff Wall bei Johnen, Michael Meise bei Johann König, Ann-Sofi Siden bei Barbara Thumm. Das Programm, www.gallery-weekend-berlin.de, hält einige Tage auf Trab und lässt neben der Kunst den Jet-Set der Sammler beobachten. Start heute 19–22 Uhr, die übrigen Tage ist von 11 bis 18 Uhr geöffnet.
VON TIM ACKERMANN
Dash Snow scheint der Pete Doherty unter den Künstlern zu sein, die Medienmeute konzentriert sich nur noch auf sein Privatleben. Man hört einiges: Er ist der Spross einer Milliardärsdynastie und hat den Kontakt zur Familie abgebrochen. Ein ehemaliger Sprayer und passionierter Drogenkonsument, der als Erfinder der „Hamsternester“ gilt – verwüstete Hotelzimmer, in denen man nackt herumliegt und so lange bewusstseinsverändernde Drogen konsumiert, bis man sich wie ein Hamster fühlt.
Menschenscheu soll der 26-jährige New Yorker auch sein. Im wirklichen Leben ist er aber sehr zugänglich. Der Ausstellungsaufbau in der Berliner Galerie Contemporary Fine Arts (Sophienstr. 21) gerät zur kleinen Party: Snow lässt immer wieder Gram Parsons Countryschnulze „Hickory Wind“ laufen und schenkt vom trockenen Weißwein aus. „The End of Living … The Beginning of Survival“ heißt seine erste Schau in Deutschland, die heute im Rahmen des dritten Gallery Weekends Berlin eröffnet wird.
Ein großes Sammelsurium von rund 200 Arbeiten umfasst Skulpturen, viele Collagen, Zeitungsschnipsel, Wortfetzen, die sich zu Sätzen ergänzen: „Promise-her-anything-but-give-her-LSD“. Fotos aus Magazinen zeigen Indianer, Peace-Zeichen, Nudisten beim Planschen im Bach. Schwänze.
Das ist ein verdammter Trip zurück in die kalifornischen Selbsterfahrungskommunen der Seventies. Auch wenn Dash Snow die Collage nicht neu erfindet, so kann man ihm doch eine künstlerische Vision nicht absprechen. Seine Sätze haben Kraft. Sehr schön sind einige Objekte, in denen er die Textschnipsel auf Holzscheite aufgeklebt hat – „I-am-sorry-I-am-stupid“, erklärt jetzt ein Holzscheit.
Die Ausstellung bietet einen Einblick in den Kosmos eines freundlichen, langbärtigen, noch langhaarigen, unangepassten Amerikaners. Da verzeiht man Plattitüden. Etwa, dass er über Zeitungsfotos von Saddam Hussein gewichst hat. Erzgegner George Bush taucht in einer Collage mit Waffen-Hakenkreuz auf. „Bush hat Amerika in ein Konzentrationslager verwandelt“, sagt Snow. „Wirst du das in der Zeitung schreiben?“ Ja, gerne, aber politische Subtilität ist seine Sache wirklich nicht.
Die Antithese zu der Eindeutigkeit des jungen Amerikaners ist beim Gallery Weekend die Kunst von Kader Attia. Dabei ist es nicht so, als ob Letzterer unpolitisch wäre. Wie auch, als Sohn algerischer Einwohner in Frankreich? „Im ersten Wahlgang haben 30 Prozent der Franzosen Sarkozy gewählt – diesen Faschisten“, stöhnt Attia. Nicolas Sarkozy, Präsidentschaftskandidat der konservativ-bürgerlichen UMP, der als Innenminister die Pariser Vorstädte „kärchern“ wollte. Attia ist in der Banlieue aufgewachsen.
Wut und der Wunsch, sich einzumischen, sind auch seine Triebkräfte. Nur liefert Attia eben ungern Eindeutigkeiten. „Art is a question“, sagt er. In der Galerie Christian Nagel (Weydinger Str. 2/4) befragt der 36-Jährige die Besucher mit seiner Installation „Ghost“: Figuren aus Alufolie – man könnte Frauen mit Kopftüchern oder Kapuzen vermuten – hocken auf dem Boden, die Gesichter der Wand zugewandt, als ob sie beten. Wer um die Skulpturen herumgeht, erlebt eine Überraschung. Die Figuren sind in ihrer Haut aus Alu-Folie hohl. Wo Gesichter sein sollten, klaffen Löcher – eine Armee von Gespenstern.
Geht es Attia nun um die Fülle oder die Leere? Die Präsenz oder die Abwesenheit von Glauben? „Ghost“ regt an, über die Stellung der Frau in den großen Weltreligionen nachzudenken und ganz sicher auch über die Rolle der muslimischen Frau – die im doppelten Sinn „Andere“ in der französischen Gesellschaft.
Um die Zuschreibung von Rollen geht es auch bei Danh Vo. In der Galerie Isabella Bortolozzi (Schillingstr. 31) präsentiert er in exotisch angehauchtem Ambiente Fotografien und Objekte aus dem Besitz eines amerikanischen Bekannten namens Joe. Dieser arbeitete in den frühen Sechzigern gelegentlich in Vietnam, als Wissenschaftler für das US-Militär in Vorbereitung auf den Kriegseintritt. Joe war schwul und hatte ein Faible für junge asiatische Männer.
In der Ausstellung betrachtet man neben Tagebucheinträgen, die die Befragung gefangener Vietcong erotisch verklären, auch eine Vielzahl wunderschöner Schwarz-Weiß-Fotos. Bilder von jungen Männern beim Essen, Baden oder im Museum. Oft aus der Distanz aufgenommen, ohne dass es den Fotografierten bewusst war. Alltagsszenen, die Joe in seiner Fantasie sexuell ausschmückte.
„Ich wollte dieses enorme Verlangen spürbar machen“, erklärt Vo, der seinen mittlerweile 80-jährigen Bekannten überredete, sich von Teilen seines Archivs zu trennen. Vos Werk dreht sich auch um die Macht der Blicke und die Exotisierung nichtwestlicher Menschen. Eine Exotisierung, von der sich auch der 1975 in Vietnam geborene Künstler nicht immer befreien kann.