: Kritik am „Aufschwungstaumel“
GfK: Konsumklima verbessert sich. Doch alternative Wirtschaftsforscher warnen vor Euphorie: Ohne deutlich höhere Löhne werde der Aufschwung schnell vorbei sein
BERLIN taz ■ Die Verbraucher blicken optimistisch in die Zukunft: Der Konsumklima-Index, den die Marktforschungsgesellschaft GfK monatlich erhebt, stieg im April deutlich an. Die Erwartungen an die Konjunkturentwicklung lagen sogar so hoch wie nie zuvor. Auch in den Unternehmen ist die Stimmung so gut wie lange nicht mehr, wie der ifo-Geschäftsklimaindex zeigt. Und die Bundesregierung rechnet in diesem Jahr mit einem Wirtschaftswachstum von 2,3 Prozent, worin Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) ein „gutes Zeugnis“ für die Regierungspolitik sieht.
Diese Interpretation weist die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik (Memo-Gruppe) in ihrem diesjährigen Memorandum zurück. „Der Aufschwung ist weder ein später Erfolg der Agenda 2010 noch ein schneller Erfolg der großen Koalition“, schreiben die Wissenschaftler in ihrem Gegenentwurf zum offiziellen Gutachten, das der Sachverständigenrat für die Bundesregierung erstellt. Grund für das derzeitige Wachstum seien fast ausschließlich der nochmals gestiegene Export sowie turnusmäßige Ersatzinvestitionen der deutschen Industrie.
Der private Konsum im Inland sei im vergangenen Jahr hingegen nur um ein Prozent gestiegen, sagte Rudolf Hickel, Wirtschaftsprofessor an der Universität Bremen. Angesichts sinkender Realeinkommen sei das nicht verwunderlich. Darum fordern die Memo-Autoren eine kräftige Lohnerhöhung, die mindestens die Produktivitätssteigerung widerspiegelt und die Inflation ausgleicht. „Die Gewerkschaften müssten mindestens 6,5 Prozent höhere Löhne durchsetzen“, sagte Hans-Jürgen Bontrup, Professor an der Fachhochschule Gelsenkirchen. „Wenn sie das nicht schaffen, wird die Konjunktur 2009 abstürzen.“
Dass höhere Löhne für die weitere Entwicklung entscheidend sind, sehen auch die GfK-Forscher so. Ein Grund für das bessere Konsumklima sei die Erwartung steigender Gehälter: „Aufgrund des verbesserten Arbeitsmarktes hoffen die Verbraucher, dass die Lohnzurückhaltung der letzten Jahre der Vergangenheit angehört“, schreiben die Marktforscher.
Auch unabhängig von den Ursachen des Wachstums sieht die Memo-Gruppe die wirtschaftliche Entwicklung weniger euphorisch als die offiziellen Gutachten. „Im allgemeinen Aufschwungstaumel geht unter, dass viele Menschen davon überhaupt nicht profitieren. Das zeigt sich etwa an der weiter steigenden Kinderarmut“, sagte Bontrup. Bei den sinkenden Arbeitslosenzahlen werde zudem übersehen, dass es sich bei neuen Jobs überwiegend um prekäre Beschäftigungsverhältnisse wie Zeitarbeit handele. Als Konsequenz fordern die Wissenschaftler, öffentlich geförderte Beschäftigungsverhältnisse auszubauen und verstärkt in Infrastruktur zu investieren.
Einräumen mussten die Wissenschaftler gestern allerdings auch, dass sie bei ihren Prognosen für 2007 zu pessimistisch waren. „Ja, wir haben uns geirrt“, sagte Bontrup. Aber auch die anderen Forschungsinstitute hätten mit ihren Vorhersagen danebengelegen. „Wenn ich die boomenden Exportwerte sehe, frage ich mich, was aus neoliberalen Propheten wie Hans-Werner Sinn vom ifo-Institut geworden ist, die Deutschland seit Jahren vor dem Abgrund sehen.“
MALTE KREUTZFELDT