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Archiv-Artikel

Fremde Hirnregionen zeigen Gefühl

Hits, Hits, Hits, Hilfe: Am Donnerstag hatte das dramaturgisch exzentrische Best-Of-Frank-Farian-Musical „Daddy Cool“ am Ostbahnhof Premiere

VON CHRISTIANE RÖSINGER

Frank Farian ist ein sogenannter Erfolgsproduzent, er hat 800 Millionen Platten verkauft und ist nun auf seine älteren Tage hin Musicalproduzent geworden. Auf der Freifläche gegenüber der Eastside Gallery wurde deswegen jetzt der „Boney M.-Theaterpalast“ aufgebaut – ein mobiles Theaterzelt, mit dem das Farian-Musical „Daddy Cool“ auf Welttournee gehen will. Am Donnerstagabend traf man sich dort zur „Weltpremiere“ des Musicals, das seit September in London läuft.

Die Geschichte beginnt in Trinidad. Der kleine Sunny reist von dort nach London zu seiner emigrierten Mutter, gerät heranwachsend auf die schiefe Bahn, findet die Liebe, wird verhaftet und kehrt zurück nach Trinidad. Zusätzlich wird nach dem Muster West Side Story/Romeo und Julia der Konflikt zwischen zwei verfeindeten Gangs umständlich ausgebreitet. Für noch eine Verwicklung sorgt der historische Daddy Cool mit dem mythischen Silbermantel. Aber schließlich muss man ja auch alle Hits der Farian-Produktionen Milli Vanilli, Eruption und La Bouche irgendwie unterbringen. Es werden sämtliche Disziplinen aufgefahren, um die alten Diskoklopper aufzupeppen: „Rasputin“ wird im Geiste des Two Step wiederbelebt, „Ma Baker“ als Beatbox-Ode inszeniert, es wird gebattlet und gebreakt, was das Zeug hält.

Toll ist, wie die akrobatischen Tänzer sich am Ghettomaschendrahtzaun in drei Meter Höhe im Flug mal einfach so festkrallen. Aber die elend langen, sinnlosen Dialoge! Aus Verzweiflung freut man sich an der schönen Aussprache des Londoner Ensembles. „Daddy Cool“ ist, das weiß man am Ende, ein wahnwitziges Meisterwerk der Dramaturgie: Zweieinhalb Stunden wird der Zuschauer zu Tode gelangweilt, um dann kurz vor Schluss in ein furioses Medley zu stürzen. Tänzer, Sänger, Arkobaten geben alles, bengalisches Feuer lodert, Pyrotechnik knallt. Drei-Meter-Schmetterlinge tanzen mit lebensgroßen Drachen, gigantische Pappmaché-Schlangen fahren aus den Mündern von haushohen Götzen, riesige Vögel schweben von der Decke.

Dieser jähe Bühnenzauber soll den Karneval in Trinidad darstellen, reißt aber vor allen anderen Dingen die Menschen im Boney M.-Palast aus dem Dämmerschlaf. Alle stehen auf und singen – und jetzt alle!– mit beim großen Finale. Dann kommen Boney-M.-Darsteller auf die Bühne, kostümiert im Discolook wie Außerirdische, täuschend echt der überagile Tänzer mit der engen Hose. Und man selbst steht da und singt: „ Brown girl in the ring – na na na na.“ Die Band, die zuvor im Verborgenen hinter der Bühne musiziert hat, wird vorgestellt. Jubel: „Ma Baker, she knows how to die!“ „Wollt ihr noch ein Lied hören?“, fragt Sunny dann auf Deutsch „Jaa!!!“, schreien die Premierengäste. „Daddy Cool“ wirkt wie eine Gehirnwäsche.

Alles singt: „By the rivers of Babylon“. Es bleibt der Eindruck eines großartigen Finales. Ach, warum hat man nicht einfach ein 90-minütiges Farian-Medley zusammengestellt und auf die ganze mühsame Geschichte verzichtet? Erschöpft, aber seltsam heiter verlässt man den unwirklichen Ort, wird dann im wüsten Brachland um den „O2-World-Platz“ erst recht vom Wahnsinn gestreift. Denn es hört und hört nicht auf: „Ma-Ma-Ma Baker“, ruft es im Kopf. „Ra-Ra-Ra-Rasputin“, antwortet ein fremdes Ich aus einer bisher unentdeckten Hirnregion. Und von weiter unten kommt: „You treat me like a fool, bye-bye Daddy Cool“. Wie lange kann so etwas dauern? „Show me emotion, la la la…“

Bis 24. 6., täglich außer Montag, www.daddycool-musical.de