Olympische Disharmonie

In Peking wird die Strecke des olympischen Fackellaufs in feinstem Parteichinesisch besungen. In Taiwan, wo die Loslösung von China eines der wichtigsten Wahlkampfthemen ist, regt sich Protest

AUS PEKING GEORG BLUME

In China läuft die Parteipropaganda warm: „Größer und besser: Der olympische Fackellauf wird den Beginn des größten Moments in der modernen Geschichte der Nation markieren“, titelte gestern die Pekinger Tageszeitung China Daily. Zuvor hatte das Organisationskomitee der Spiele die Route des olympischen Fackellaufs bekanntgegeben. Der Fackellauf ist traditionell das zentrale Vorspiel zu Olympia. Ab März 2008 soll die Fackel von Peking aus in 130 Tagen auf 137.000 Kilometern durch alle fünf Kontinente getragen werden: so lange und so weit wie noch nie zuvor. Höhepunkt auch im geogrfhischen Sinn soll eine Bergsteigerstaffel mit Fackel auf den Mount Everest sein. Für eine völkerverbindende Botschaft soll dann die Fackelreise entlang der historischen Seidenstraße von China nach Europa sorgen. „Wie ihr Thema es will, wird es eine ‚Reise der Harmonie‘ werden“, lobte der Präsident des Olympischen Komitees (IOK), Jacques Rogge, die typisch parteichinesische Grundidee des Fackelzugs. Seit ein paar Jahren hat sich die KP den Harmoniebegriff der traditionellen chinesischen Philosophie ausgeliehen, um ihn als oberstes Parteiziel zu proklamieren. Nun muss der Begriff also auch Olympia dienen.

Doch je stärker die Propaganda, desto lauter die Gegenstimmen. Prompt fühlte sich das Olympische Komitee in Taiwan von den chinesischen Fackelläufern auf den Fuß getreten. Da sich Taiwan selbst als unabhängig von China betrachtet, wollte das Komitee die Fackel auf der Insel nur annehmen, wenn sie aus einem Drittland kommt und in ein Drittland weitergereicht wird. Nun soll die Fackel aus Vietnam kommen und in die chinesische Sonderverwaltungszone Hongkong weiterreisen: „Das ist ein faires Angebot an Taiwan“, meinte der deutsche IOC-Vize Thomas Bach, nachdem China die Insel am liebsten als Station zwischen zwei chinesischen Provinzen gesetzt hätte. Doch der Olympia-Komitee-Chef Taiwans Tsai Chen-wei war auch mit dem Kompromissangebot unzufrieden: „Inakzeptabel. Dieser Plan kompromittiert unsere Souveränität“, entgegnete Tsai, obwohl sein Generalsekretär sich zuvor mit einer Route aus einem Drittland und weiter nach Hongkong einverstanden erklärt hatte.

In Wirklichkeit kann es China Taiwan gar nicht recht machen. Auf der Insel stehen im nächsten Frühjahr die Präsidentschaftswahlen bevor, und die zur Unabhängigkeit neigende amtierende Regierung wird jede Chance nutzen, China kurz vor Olympia als ihren eigentlichen politischen Gegner zu stilisieren. Entsprechend begrüßten die taiwanischen Oppositionsparteien die Fackellaufroute von Vietnam über Taiwan nach Hongkong.

Peking aber hat es inzwischen mit immer mehr Olympia-Spielverderbern zu tun. Da demonstrierten am Mittwoch vier amerikanische Aktivisten am Mount Everest gegen die „brutale Besetzung Tibets“, die der Fackellauf auf den höchsten Berg der Welt in Tibet zu verharmlosen drohe. Und in Frankreich könnte sogar ein eventueller Olympiaboykott zum Wahlkampfthema werden, nachdem Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal damit in einer Fernsehsendung zu drohen schien. Royal wurde befragt, ob sie im Zusammenhang mit der Menschenrechtskrise im Sudan, dessen Regierung von China unterstützt wird, einen Olympia-Boykott befürworte. „Alle Mittel müssen eingesetzt werden, damit sich etwas bewegt“, antwortete Royal – worauf die Regierung in Peking laut protestierte.

Der Streit wird weitergehen. Ihm zum Trotz sagte IOC-Chef Rogge: „Wir glauben, dass die Spiele anhaltende, positive Auswirkungen auf Chinas Gesellschaft haben werden. Sie sind eine Kraft für das Gute.“