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Archiv-Artikel

Extremer Ferienspaß

VON ASTRID GEISLER UND ANDREAS SPEIT

Wehrsportübungen und Scheinhinrichtungen: Im niedersächsischen Wilsum haben Neonazis im vergangenen Juli in einem paramilitärischen Sommerlager für den „nationalen Kampf“ trainiert. Nach einer Razzia in den Wohnungen von 26 Neonazis am Donnerstagmorgen steht fest: Im Fokus der Ermittlungen wegen des Verdachts der „Bildung einer bewaffneten Gruppe“ steht auch der NPD-Landtagskandidat Christian Fischer. Bei der Wahl in Niedersachsen im nächsten Jahr tritt er auf der Landesliste an. Zudem fungiert Fischer als Versammlungsleiter des geplanten Aufmarsches der NPD zum 1. Mai in Vechta.

Gemeinsam mit dem Chef des berüchtigten NPD-Ordnerdienstes Manfred Börm führte der Neonazi mit den Behörden die Kooperationsgespräche für den Aufmarsch in der Kleinstadt. Ein Verbot der Demo durch die Stadtverwaltung hob das Verwaltungsgericht Oldenburg am Tag der Razzia mit Verweis auf das Recht auf Versammlungsfreiheit auf.

Die Funde der Fahnder zeigen, in welchem Milieu sich NPD-Kommunalpolitiker wie Fischer bewegen. Bei ihren Razzien in der niedersächsisch-westfälischen Grenzregion stellten die Ermittler ein ganzes Arsenal an Waffen sicher – von scharfgemachten Maschinen- und Luftgewehren über Pistolen und Kleinkalibergewehre, Fallbomben und Munition bis hin zu Macheten, Wurfsternen und Totschlägern. „Wie viele Waffen scharf sind, überprüfen wir noch“, sagte ein Sprecher der Osnabrücker Polizei. Die Beamten mussten sich zum Teil gewaltsam Zutritt zu den Wohnungen verschaffen.

Auf die brisante Spur waren die Ermittler im vergangenen Oktober gestoßen. Auf einem damals bei den „Freien Nationalen Vechta“ beschlagnahmten Computer fanden sie nicht nur zahlreiche Fotos von dem militanten „Sommercamp“, sondern auch eine Liste der Teilnehmer im Alter von 15 bis 51 Jahren sowie ein Tagebuch des Camps.

Auf den Digitalfotos sind paramilitärische Übungen und nachgestellte Hinrichtungen zu sehen. Die Rechtsextremen dokumentierten unter anderem, wie ein Mann einem anderen eine Machete an den Hals drückt. Andere Fotos zeigen, an welchen historischen Vorbildern sich die Organisatoren bei der Gestaltung des Camps in einem Dorf im Südwesten Niedersachsens orientierten. Sie stellten Wegweiser zur „Wolfsschanze“ und ins „Deutsche Reich“ auf, „Leibstandarte“ und „Hitlerjugend“ prangte auf Schildern, auf einer Tonne stand „Entlausungsmittel“ – wohl eine Anspielung auf das beim Holocaust verwendete Giftgas Zyklon B.

Wer genau das Sommerlager organisiert hat, kann die Staatsanwaltschaft Osnabrück nach Auskunft ihres Sprechers noch nicht zweifelsfrei sagen. Die Razzia habe sich gegen mehrere NPD-Politiker und gegen Mitglieder der militanten Kameradschaftsszene sowie der „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) gerichtet. Die HDJ, eine Organisation zur ideologischen Abrichtung des rechtsextremen Nachwuchses, organisiert selbst auch Ferienlager und Ausflüge – so wie früher die verbotene Wiking-Jugend.

Entsetzt über die Funde der Fahnder zeigte sich gestern der Vorsitzende des Innenausschusses des Bundestages, Sebastian Edathy: „Diese Fotos sind ein Beleg für die fortschreitende Radikalisierung der rechtsextremen Szene“, sagte der SPD-Politiker der taz. „Wenn dort Waffenübungen stattgefunden haben, müssen alle Alarmglocken klingeln.“ Edathy plädierte auch dafür, die Rolle der rechtsextremen Nachwuchsorganisation HDJ genau zu prüfen. „Es gibt Anzeichen, dass die HDJ eine Nachfolgeorganisation der verbotenen Wiking-Jugend ist.“

Die Fotos hätten ihn „erst mal sprachlos“ gemacht, sagte der Chef der niedersächsischen SPD-Landtagsfraktion, Wolfgang Jüttner. Sie belegten die „zunehmende Militarisierung der rechtsextremen Szene“. Die Gerichte müssten nun entscheiden, ob jemand, gegen den wegen der Bildung einer bewaffneten Gruppe ermittelt werde, einen Aufmarsch zum 1. Mai organisieren dürfe. „Hier müssen die Behörden sehr genau hinsehen.“ Das hat die Stadtverwaltung in Vechta nach eigenem Bekunden auch getan. Dennoch wolle das Rathaus die Gerichtsentscheidung zugunsten der NPD-Demo nicht mehr anfechten, sagt der Sprecher der Stadt. Denn nach Einschätzung der Kommunalverwaltung würden auch die neuen Sachverhalte nicht ausreichen, um ein Demonstrationsverbot durchzusetzen.