: Met mit Merkel
Zu Gast bei einem der unvergleichlichen altdeutschen Feste der Bundeskanzlerin
Da stand es schwarz auf weiß auf dem Amtspapier der Bundeskanzlerin, das ein reitender Bote dringend in die Doppelhaushälfte gebracht hatte: Die Kanzlerin wünsche die Beteiligung am altdeutschen Met-Fest.
Kaum waren wir mit der Droschke am Kanzleramt angekommen, wurden wir von der gut gelaunten Hausherrin am Fuße der Freitreppe begrüßt und in den schwarz-rot-goldenen Saal geführt. Dort standen schon die Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten in zwanglosem Gespräch zusammen. Eine weißgedeckte breite Tafel zog sich mitten unter den Kronleuchtern hin, beladen mit gediegener kalter Küche ohne Künsteleien, ohne Delikatessen und Variationen von Edelfischen. Die Kanzlerin, die im hochgeschlossenen dunklen Seidenkleid und dem Kapotthütchen eine blendende Figur machte, wollte den europäischen Kollegen heute offenbar Hausmannskost aus Deutschlands Gauen nahebringen: Rollmops, Mettbrötchen oder Handkäs’ mit Musik.
Dem aufmerksamen Beobachter konnte jedoch nicht entgehen, dass der italienische Außenminister das Büfett mit ungläubigem Staunen inspizierte. Schließlich nahm man an einem der Tische an den Langseiten des Saales Platz. Um all diese teutonischen Leckerbissen hinunterspülen zu können, wurden von den Bediensteten des Kanzleramts große Humpen voll schäumenden Mets an die europäischen Politiker verteilt. Die Kanzlerin erhob den Krug und brachte einen Toast auf Europa aus. Die ausländischen Gäste ließen sich den altdeutschen Honigwein dann mit sichtlichem Behagen schmecken.
Es war unbedingt ein besonderes Erlebnis, an einem der berühmten altdeutschen Abende Angela Merkels teilzunehmen. Die Kanzlerin schritt von Gruppe zu Gruppe, von Tisch zu Tisch. Dicht neben ihr hielt sich Harro, der „Bundes-Dobermann“. Wen seine Herrin ansprach, dem blickte auch er aufmerksam ins Auge; aber einen Nebengedanken schien seine Hundenatur doch zu hegen – er schielte bisweilen nach dem mittlerweile schon stark geplünderten Büfett. Da blickte die Kanzlerin schmunzelnd auf ihn nieder, spießte eine tüchtige Portion Braten auf, warf sie ihm zu und legte die Gabel zurück. Happ, war der Bissen verschluckt. Harro dankte mit einem zufriedenen Blick, aber der spanische Minister für Landwirtschaft, mit dem die Kanzlerin gerade im angeregten Gespräch stand, geriet sichtlich aus der Fassung. Auch der französische Atomminister, der eben dabei war, auf den Teller seiner Tischdame Bismarckhering und Harzer Roller zu häufen, schien hinter höflichem Lächeln ein Befremden über so eine barbarische Sitte zu verbergen. Die romanischen Völker haben ja für den Hund nicht unser deutsches Mitgefühl.
Merkels Auftreten war gebietend und gewinnend zugleich, von geradezu überschäumender Liebenswürdigkeit. Erhob die Kanzlerin den Krug und leerte ihn mit bezwingender Damenhaftigkeit auf einen Zug, taten es ihr die europäischen Kollegen gleich. Der geschmackvolle Honigwein wurde ja schon in germanischer Vorzeit nicht nur auf Feiern in rauen Mengen getrunken, sondern diente gleichzeitig als Götteropfer.
Wenn auch nicht ganz klar war, welche kultischen Handlungen die versammelten EU-Politiker an diesem denkwürdigen Abend verrichten wollten, die berauschende Wirkung des Alkohols stellte sich bei den Spitzen Europas nachhaltig ein: Xavier Solana, dem das vergorene Honigwasser mit zunehmender Dauer des Abends sichtlich zusetzte, verstieg sich in seinem mit schwerer Zunge ausgebrachten Toast zu der Behauptung, die iranische Führung nächste Woche im Alleingang zur Räson bringen zu wollen. Enno Lapauskas, der lettische Verkehrsminister, war von dem germanischen Göttertrunk derart begeistert, dass er im Gespräch mit dem deutschen Kollegen Wolfgang Tiefensee die Errichtung einer Met-Pipeline zwischen Rostock und der lettischen Grenzstadt Daugavpils anregte. Um die Weiterleitung des anregenden Honigweins in seine Heimatstadt Jekabpils werde er sich persönlich kümmern. Auch die Versorgung des beschaulichen Küstenstädtchens Ventspils, wo er eine Datscha besitze, werde er mit Hilfe eines befreundeten Spediteurs sicherstellen. Für allgemeines Schmunzeln sorgte dann die Ankündigung des litauischen Landwirtschaftsministers, in Vilnius nächstes Jahr die Fachmesse „Met Baltica“ zu veranstalten.
An diesem Punkt schien es der deutschen Kanzlerin angezeigt, das baltische Met-Rüsten mit einer gewagten Tanzeinlage zu unterbrechen und die widerstreitenden Interessen so zusammenzuzwingen. Das rauschhafte Gemeinschaftserlebnis dieses europäischen Gipfeltreffens schwappte nun endgültig dem Siedepunkt entgegen. Großen Beifall fand schließlich der Vorschlag der Kanzlerin, Berlin zur europäischen „Met-Ropole“ ausbauen zu wollen. Alsbald war das nächste Treffen in zwangloser Runde ausgemacht, und die Schar der munteren Zecher genehmigte sich noch einen letzten Absacker, bevor sie sich torkelnd und schwankend, doch gestärkt durch die völkerverbindende Kraft des europäischen Gedankens auf den Heimweg machte. RÜDIGER KIND