: Der bulgarische Bilderstreit
Bulgarien in Aufruhr: Das Osteuropa-Institut der FU Berlin hat nach massiven Drohungen eine Konferenz in Sofia abgesagt, die den Nationalmythos um das Massaker von Batak untersuchen sollte. Kurz vor den ersten Wahlen zum Europa-Parlament heizen Politiker und Historiker die Stimmung auf
VON IVAYLO DITCHEV
Wer glaubt, dass durch bedrohte Symbole angetriebene Massenhysterien ein kulturelles Spezifikum muslimischer Gesellschaften seien, sollte in diesen Tagen in Bulgarien sein. Die Untersuchung „Batak als bulgarischer Erinnerungsort“ hat das Land in Aufruhr versetzt. Diese Untersuchung sollte im Rahmen des Projekts „Feindbild Islam – Geschichte und Gegenwart antiislamischer Stereotype in Bulgarien am Beispiel des Mythos vom Massaker in Batak“ am 17. Mai auf einer Konferenz und Ausstellung in Sofia und Batak vorgestellt werden; federführend ist dabei das Osteuropa-Institut der FU Berlin. Angeleitet von Dr. Ulf Brunbauer sollte das Projekt beschreiben, wie die Malerei des späten 19. Jahrhunderts teilhatte an der Entstehung des Nationalmythos rund um das Massaker in dem Dorf Batak. Im Zuge der Niederschlagung des April-Aufstands waren dort 1876 rund 30.000 Menschen von ottomanischen Truppen ermordet worden. Die Konferenz wurde abgesagt.
Fernsehen und Zeitung (insbesondere der größte Sender des Landes, der in den Händen von Rupert Murdoch ist, und die größte Zeitung, die der deutschen WAZ-Gruppe gehört), nationalistische Historiker und hohe Offizielle von staatlicher Seite haben sich zusammengetan und behauptet, das Projekt verleugne die Opfer. Der Akademie der Wissenschaften wurde untersagt, die Konferenz zu beherbergen. Militante Mitglieder der Nationalistischen Partei und Einwohner von Batak drohten öffentlich, die Besucher der Konferenz zusammenzuschlagen, sollte sie denn stattfinden. Bojidar Dimitrov, der Leiter des bulgarischen Nationalmuseums, verkündete, er werde Brunbauer wegen Geschichtsverleugnung anklagen. Außerdem behauptete er, hinter der Bosch-Stiftung, die Unterstützung für das Projekt angeboten hatte, ständen reiche Türken, die versuchten, die bulgarische Geschichte umzuschreiben, um ihr Land in die EU zu schmuggeln.
In guter kommunistischer Tradition werden im Fernsehen Tag für Tag einfache Leute und Schulkinder gezeigt, die sich empören und sagen, dass die bulgarische Wissenschaft besser den Bulgaren überlassen bleiben solle. Martina Baleva, die bulgarische Teilnehmerin der Konferenz, wurde beschuldigt, ihr Vaterland für 2.000 Euro verkauft zu haben. Staatspräsident Parvanov, der selbst Historiker ist, bezeichnete das Projekt als eine Provokation. Eine solche Konferenz solle besser nicht stattfinden, denn niemand dürfe es erlaubt werden, die bulgarische Geschichte umzuschreiben. Parvanov ist Sozialist – verglichen mit seinen Positionen blieb selbst den Neofaschisten nicht mehr viel zu fordern übrig.
Die Berliner Wissenschaftler versuchten derweil verzweifelt zu erklären, dass es ihnen nicht darum gehe, irgendetwas zu verleugnen, sondern dass ihr Projekt von Bildern und Vorstellungen handle. Auch wenn andere Akademien und Organisationen Unterstützung anboten, drückten sie ihr Bedauern aus, missverstanden worden zu sein, und sagten die Veranstaltung ab. Das Osteuropa-Institut in Berlin hat seine Sicherheitsmaßnahmen erhöht, weil Brunbauer täglich Todesdrohungen erhält. Und all das wegen eines Projekts, das sich neben anderen Dingen auch zum Ziel gesetzt hatte, ethnische Spannungen, die von Nationalmythologien angetrieben werden, zu entschärfen.
Wie konnte es so weit kommen? Eine Erklärung dürften die ersten Wahlen zum EU-Parlament sein, die in Bulgarien am 20. Mai stattfinden und die von allen Parteien benutzt werden, um sich als Verteidiger der nationalen Interessen gegen „Europa“ zu stilisieren. Aus dieser Sicht ist Brunbauer geschickt worden, Bulgariens Geschichte zu verfälschen. Es dürfte kein Zufall sein, dass Dimitrov, die Chefs der an der Kampagne beteiligten Medien wie auch der Staatspräsident ehemalige Mitarbeiter des Geheimdienstes sind. Sie haben einen eigenen Stil, die Realität zu fiktionalisieren.
Innenpolitisch richtet sich die Kampagne gegen die türkische Partei – wie wird sie reagieren? Wird sie ihre Sympathien für die Ottomanen verkünden? Tatsächlich gab es ein Gesetzesvorhaben der Rechten, das vorsah, die Leugnung des Massakers wie die des Völkermords an den Armeniern unter Strafe zu stellen (wie in Frankreich). Dieses Gesetz sollte die Türkei auf ihrem Weg in die EU aufhalten.
Die massive nationale Einigkeit in dieser Sache ist erstaunlich. Warum sollten sich Bulgaren unbedingt als Opfer fühlen müssen? Ein Grund wurde von einem der Führer der rechten Partei VRMO (ebenfalls ein Historiker und ehemaliger Geheimdienstmann) ganz offen ausgesprochen: Wenn sie uns dieses Verbrechen angetan haben, dann brauchen wir uns auch nicht länger für die Namensänderungskampagnen schuldig zu fühlen, mit denen das Schivkov-Regime in den Achtzigerjahren die türkische Minderheit in Bulgarien überzogen hatte.
All dies könnte eine Kuriosität in einem ansonsten kleinen und friedlichen Land sein, gäbe es nicht das Beispiel Polen. Genau wie dort brechen nach vielen Jahren der gefühlten Erniedrigung die nationalistischen Leidenschaften mit ungeahnter Heftigkeit hervor. Nur dass die Religion in Bulgarien nicht der Katholizismus ist, sondern die nationale Geschichte. Die Knochen der Opfer von Batak sind jenseits von Diskurs und Analyse. Kein Wunder, dass die orthodoxe Kirche sich der Kampagne ebenfalls angeschlossen hat. Sie hat verkündet, sie werde die Opfer von Batak kanonisieren. Und die Rituale vervielfachen sich. Im April wurde ein Skelett, von dem es heißt, es könne der mittelalterliche König Kaloyan gewesen sein, das bisher friedlich in einem Museum lag, umgebettet. Sein neuer Stahlsarg soll 3.000 Jahre halten, beim Begräbnis wurde er von einem Panzer transportiert und begleitet vom Präsidenten, Priestern und einer Militärparade. Nun sollen die Überreste aller ehemaligen Herrscher in ein Pantheon in der ehemaligen Hauptstadt Tirnovo überführt werden. Wenn Tote zu zweitem Leben erwachen, sollten die Lebenden wachsam sein.
Der Autor unterrichtet Philosophie an der Universität Sofia. Übersetzung aus dem Englischen: Tobias Rapp