ortstermin: naumann im feindesland
: Von feindlichen Pappschildern umstellt

In der Reihe „Ortstermin“ besuchen Autoren der taz nord ausgewählte Schauplätze am Rande des Nachrichtenstroms

Nachher stand Michael Naumann, der Spitzenkandidat der Hamburger SPD für die Wahl 2008, mitten auf dem Hof des Harburger Kulturzentrums Riekhof, einen durchsichtigen Bierbecher in der Hand. Ganz wohl schien sich seine Bierhand nicht zu fühlen, sie zuckte etwas, aber Naumann trank tapfer, nickte, hörte zu, zündete eine Zigarette an und blies den Rauch schräg nach oben.

Er wolle ein Kandidat zum Anfassen sein, hatte der ehemalige Zeit-Herausgeber versprochen, und das zog er auch durch. Dabei war er wenige Minuten zuvor, bei seiner 1. Mai-Rede drinnen im Saal, noch ausgepfiffen worden. Oben auf der Empore gellten Trillerpfeifen, überall reckte die Gewerkschaftsbasis kleine weiße Papptafeln hoch. „SPD, du hast mehr verdient als Naumann“, stand darauf, wahlweise auch „Naumann ist für Rente ab 67“ und „Naumann ist für Agenda 2010.“

„Die Armen werden immer ärmer, die Reichen immer reicher“, rief Naumann in den Saal. „Zum Glück hast du damit nichts zu tun“, konterte ein Zwischenrufer. „Woher weißt du, dass ich für Hartz IV bin?“, fragte Naumann einen der Pappschild-Hochhalter, der sich seitlich auf der Bühne postiert hatte, nur wenige Meter von Naumann entfernt, und laut „Heuchler“ gerufen hatte.

Schon im Vorfeld hatte es Proteste gegen den Auftritt des SPD-Kandidaten bei der 1. Mai-Kundgebung in Harburg gegeben. Naumann hatte sich nicht nur nicht von den Hartz IV-Gesetzen distanziert, die die rot-grüne Bundesregierung beschlossen hatte, als er Kulturstaatsminister war. Er hatte die Gesetze und damit die Kürzung des Arbeitslosengeldes sogar verteidigt. Durch sie sei „eine größere Bereitschaft entstanden, wieder zu arbeiten“, hatte er dem Obdachlosenmagazin Hinzt & Kunzt gesagt.

Trotzdem hatte der Harburger DGB-Chef Thomas Bredow, selbst SPD-Mitglied, an der Einladung Naumanns festgehalten. Weder gehörten die Gewerkschaften der SPD, noch diese den Gewerkschaften, konstatierte Naumann bei seiner Rede, verlegte sich dann aber schnell auf weniger konfliktträchtige Themen. Die Arbeitslosen: „Mit ein Euro-Jobs lässt sich ihrem Schicksal nicht entkommen“, sagte er und stellte nochmals „ein neues Arbeitsmarktprogramm“ in Aussicht, 100 Millionen Euro will er im Falle eines Wahlsiegs dafür locker machen. Oder die Erbschaftssteuer: In den USA – „ich habe da acht Jahre gelebt“ – betrage sie 40 Prozent, das sei doch interessant.

Nicht einmal vor Arbeiterrhetorik schreckte Naumann zurück. Gut, dass die Wirtschaft wachse, aber man dürfe nicht vergessen, „wer die Lokomotive geheizt hat und wer sie heizt“. Na? „Das waren und sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unseres Landes“, stellte Naumann fest. Vor ihm waren Frühlingssträucher mit roten Schleifchen drapiert, über ihm prangte das offizielle DGB-Plakat mit dem Motto „Wir haben mehr verdient“.

Naumann sei „nicht glaubwürdig“, aber gegen seine Rede könne man „inhaltlich nichts sagen, das ist ja das Ärgerliche“, knirschte einer der Pappschild-Heber nach der Veranstaltung. Die linke Opposition hatte sich ein paar Schritte weiter vor der Kneipe „Zur stumpfen Ecke“ versammelt, wo einige Männer zur Gitarre Lieder sangen wie: „Arbeiter, Bauern, nehmt die Gewehre, nehmt die Gewehre zur Hand“.

Es seien ja lauter SPD-Leute da gewesen, aus dem Parteibezirk Hamburg-Mitte habe man die Clauqeure angekarrt, knurrte ein DPK-Mann. Tatsächlich war gleich zu Beginn der Veranstaltung Johannes Kahrs, der SPD- Chef von Mitte, begrüßt worden. Kahrs, Major der Reserve, sitzt im Verteidigungsauschuss des Bundestages. „Kriegstreiber!“, rief prompt jemand aus dem Publikum. Es war kein guter Tag für die SPD. Aber gemeinsam war sie stark. DANIEL WIESE