: berliner szenen Niedlich depressiv
Bär, vom Ruhm erschöpft
Die Rotkreuz-Zelte sind abgebaut, kein Kind geht mehr im Trubel verloren. Gewiss, man wartet noch in Schlangen auf die Knut-Show, und ja, es wird noch eifrig fotografiert, wenn der kleine Eisbär auf die Freilichtbühne kommt. Aber die Entzückensschreie sind verhalten. Während der weltberühmte Tierpfleger mit der Bikerfrisur alles gibt, um possierlich von der Rückenlage in den Vierfüßlerstand zu rollen, wirkt Knut über lange Strecken der Show seltsam unbeteiligt.
Sind es die Backenzähne, spürt Knut selbst, dass er nicht mehr so richtig süß ist, dass er den Zenit des Weltruhms bereits überschritten hat? Oder hat den Popstar unter den Eisbären das Burn-out-Syndrom oder gar ein Lebensüberdruss Cobain’schen Ausmaßes überkommen? Will er, wenn er die Überstreichelung seines Ziehvaters apathisch zulässt, eigentlich sagen: „Lasst mich, ich fühle nichts mehr?“ Oder steckt unter der weißen Weste des vermeintlich Verstoßenen ein ganz abgefeimter Betrüger, ein zweitklassiger Knut-Darsteller? Ist das alles ein abgekartetes Spiel zwischen der B.Z., Knuts hospitalistischer Mutter Tosca und „Partner für Berlin“?
Da aber verliert er beim Toben mit Herrn Dörflein kurz die Beherrschung, schlägt die noch kindliche Pranke in den Pflegerarm und lässt ein kräftiges „Roaaar!“ ertönen. Die Menge lacht und erschaudert zugleich.
Sofort gibt sich Knut wieder pflichtbewusst tapsig. Nach einem kleinen Bad schüttelt er so unbeholfen die Tropfen aus dem Fell, dass er das Gleichgewicht verliert und umfällt. Schon arg goldig! Aber warum wirkt Knut erst richtig lebendig, wenn die Show vorbei ist und er hinter seinen Betreuern Richtung Backstage hoppeln darf? Wir werden die Sache weiter beobachten.
CHRISTIANE RÖSINGER