„Viele Lobbyisten sind unprofessionell“

Immer mehr deutsche Konzerne leisten sich teure Vertretungen in der Hauptstadt. Trotzdem ist ihr Lobbying chaotisch, hat der Politologe Rudolf Speth herausgefunden. Dafür werden die Nichtregierungsorganisationen schlagkräftiger

Der habilitierte Politologe RUDOLF SPETH, 49, ist Publizist und Dozent an der FU Berlin und an der Universität Münster. Er ist unter anderem Herausgeber der Bände „Die stille Macht. Lobbyismus in Deutschland“ (2003) und „Die fünfte Gewalt. Lobbyismus in Deutschland“ (2006). Für die Hans-Böckler-Stiftung hat er jetzt zusammen mit dem Politologen Birger Priddat Leiter von Unternehmensrepräsentanzen in Berlin befragt.

taz: Herr Speth, in einer neuen Studie haben Sie das Lobbying von Unternehmen untersucht. Ihr zentrales Ergebnis?

Rudolf Speth: Wir waren erstaunt, wie unprofessionell selbst große DAX-Konzerne vorgehen. Ein typischer Fall: Der Vorstandsvorsitzende hat einen Termin bei der Kanzlerin – und die Firmenvertretung in Berlin weiß nichts davon.

Dabei gelten DAX-Konzerne doch als äußerst schlagkräftig in eigener Sache.

Dennoch ist das Lobbying oft chaotisch. Denn die Führungskräfte in der Zentrale haben meist eigene Politikernetzwerke, die sie gegenüber der Berliner Vertretung eifersüchtig hüten.

Lobbyismus ist mit der Aura des Geheimsnisvollen umgeben. Aber bei Ihnen klingt es, als wäre es eher eine Karrieresackgasse, eine Unternehmensrepräsentanz zu leiten.

Die Firmenvertreter in Berlin nennen sich oft selbstironisch „Sektglashalter“. Viele von ihnen waren lange im Außendienst. Sie sind es gewohnt, als Satellit umherzuschweben. Aber ihnen fehlt eben oft der enge Kontakt zur Zentrale, was ihr Lobbying dann ineffektiv macht.

Warum treiben die Unternehmen diesen Aufwand?

Ein Grund: Auch die Gegenseite wird stärker. Gerade die Nonprofitorganisationen und die Verbrauchergruppen nehmen rasant zu. Inzwischen sind rund 2.000 Lobby-Organisationen beim Bundestag verzeichnet.

Bei 614 Abgeordneten bedeutet dies, dass auf einen Parlamentarier drei Lobby-Gruppen kommen.

Und da sind die Firmenrepräsentanzen noch nicht berücksichtigt, weil nur bundesweit agierende Gruppen gezählt werden.

Wie viele Unternehmen leisten sich denn den Luxus einer Berliner Vertretung?

Es wird geschätzt, dass inzwischen rund 100 Firmen eine Repräsentanz in Berlin eröffnet haben. Allerdings gibt es keine verlässliche Zahl, weil viele Unternehmen ihr Lobbying nicht an die große Glocke hängen.

Warum vertrauen sie nicht ihren Unternehmensverbänden, die doch auch alle in Berlin vertreten sind?

Die Verbände sind zu langsam für das politische Tagesgeschäft – auch weil ihre Mitgliedsfirmen immer heterogener werden. Die Verbände haben nur noch Megafonfunktion. Sie erzeugen ein lautes Hintergrundgeräusch zu allgemeinen Themen wie Steuern oder Arbeitsrecht.

Nicht jedes Großunternehmen setzt nur auf eine Berliner Vertretung. Viele Firmen leihen ihre Experten vorübergehend an die Ministerien aus.

Davon gab es in den letzten vier Jahren etwa 100 Fälle, wie eine FDP-Anfrage ergab. Das ist auch notwendig. Die Beamten in den Ministerien sind unkündbar – und wissen mit neuen Themen oft nichts anzufangen. Um an wichtige Informationen heranzukommen, muss die Regierung Experten auf Zeit ausleihen. Übrigens platziert nicht nur die Industrie ihre Leute in den Ministerien; Nichtregierungsorganisationen sind da inzwischen auch erfolgreich.

Auch den umgekehrten Weg gibt es: Viele Konzerne sind dazu übergangen, Expolitiker zu verpflichten.

Da stellt sich wieder die gleiche Frage wie bei den Unternehmensrepräsentanzen: Wie eng ist der Kontakt zum Vorstand? Zudem ist ein Expolitiker kein Experte, sondern ein reiner Türöffner. Er bietet lediglich ein Netzwerk, das sich schnell abnutzt.

Aber entfällt dieses Problem der veralteten Kontakte nicht, wenn man einem aktiven Politiker einen Nebenjob andient?

Dieser Undercover-Lobbyismus ist extrem gefährlich. Das ist anders als bei einer Unternehmensrepräsentanz, wo ja jeder weiß, dass sie Lobbying betreiben soll.

Das Abgeordnetengesetz sieht neuerdings vor, dass alle Nebeneinkünfte ab 10.000 Euro gemeldet werden müssen. Beginnt eine neue Ära der Transparenz?

Das reicht nicht. Wir sollten das anglo-amerikanische Modell übernehmen: In den USA muss jede Lobby-Organisation darlegen, wie viel Geld sie aufgewendet hat, um welches Gesetz zu beeinflussen.

Trotzdem bleibt eine Waffen-Ungleichheit: NGOs haben nun mal nicht so viel Geld wie Großkonzerne.

Trotzdem können NGOs schlagkräftig sein, wie etwa die Deutsche Umwelthilfe zeigt. Viel wichtiger ist: Die Lobby-Organisationen müssen früher in den Prozess der Gesetzgebung einbezogen werden. Die Europäische Kommission macht es vor: Bevor sie überhaupt ein Gesetzgebungsverfahren startet, lädt sie alle Interessengruppen ein, sich zu äußern. Zu diesem Zweck finanziert Brüssel übrigens auch den Aufbau von NGOs.

Eigentlich wirken Sie wie ein Fan des effektiven Lobbyings.

In der Politik ist der schnelle Informationsaustausch nur durch Lobbyismus möglich. Aber er muss transparent und fair sein.

INTERVIEW: ULRIKE HERRMANN